Change is coming

Die alten Doppelfenster konnten dem Schlagregen nicht mehr standhalten. © Rolf Hiller

Dräuend schwül ist es an diesem Tag. Später wird es immer dunkler, es beginnt zu regnen, immer stärker wird der Regen. Gut so, denke ich mir. Es war in den letzten Wochen viel zu trocken. Wind kommt auf und peitscht den Regen gegen die Fenster. Gebannt schaue ich erst einmal zu. Dann bemerke ich, dass sich das Wasser zwischen den Doppelfenstern sammelt. In einem Zimmer dringt es sogar durch die Fensterrahmen – im Nu bildet sich eine Lache auf dem Boden. Im Nachbarzimmer ist die Lage nicht so schlimm, aber ich muss auch dort die Fensterbänke trocknen. Zum Glück dauert der Schlagregen, den ich so noch nie in unserer Wohnung erlebt habe, nicht lange. Das Ungemach in den anderen Zimmern, die dem Sturmregen ausgesetzt waren, hält sich in Grenzen. 

Erst abends bemerken wir Wasserflecken an der Decke. Wahrscheinlich drang über den Balkon im dritten Stock Wasser ein, das sich seinen Weg über den zweiten nach unten suchte. Naturereignisse wie dieser Starkregen zeigen dem Menschen immer wieder seine Grenzen auf. Natürlich wäre es vermessen, jedes Extremwetter unmittelbar auf den Klimawandel zurückzuführen; aber wir müssen akzeptieren, dass der Einsatz fossiler Energien Folgen hat, die nun in zunehmender Geschwindigkeit deutlich werden. Leugnen gilt nicht! Am Tag vor dem Unwetter hatte ich mir einen Satz von Greta Thunberg notiert: “Change is coming whether you like it or not.” Dem hätte der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa (“Der Leopard”) wohl kaum widersprochen, obwohl sich seine Einsicht einer ganz anderen Zeit verdankt: “Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.” Ihn zitierte übrigens der kluge CDU-Politiker Wolfgang Schäuble kürzlich in einem Interview.

Nimmt man die AfD einmal aus – die Rechtspopulisten liegen im aktuellen ARD-DeutschlandTrend hinter der CDU/CSU auf dem zweiten Platz -, dann sind sich alle Parteien “irgendwie” einig, dass der Klimaschutz mehr Beachtung verdient. Die endlosen, interessegeleiten Querelen um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) zeigen, wie unendlich schwer es ist, vernünftige Politik zu machen. Schon schielen Söder Markus & Co. auf die bayerischen Landtagwahlen am 8. Oktober; an diesem Tag wird gleichfalls in Hessen gewählt. 2024 stehen dann die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an. Anderthalb Jahre Dauerwahlkampf verheißen nichts Gutes für das (politische) Klima in deutschen Landen. Zum guten Schluss sei daher noch einmal an den Vorschlag von Ralf Dahrendorf erinnert, die Bundes- und Landtagswahlen auf einen Termin zu bündeln. Das täte zumindest dem politischen Klima gut. 

Aufgabe

Wagen geräumt. Heute kein gastronomisches Angebot. © Rolf Hiller

Regen bringt Segen. Es regnet gleichmäßig die ganze Nacht. Ich stelle mich irgendwann im Dunkeln ans Fenster, schaue zu und fahre in Gedanken noch einmal meine Tour durch Deutschland. Montag war ich in unserem Kasseler Büro, konnte aber von Berlin nur über Magdeburg direkt fahren. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt – sie verfügt normalerweise über keinen ICE-Anschluss – müssen wir halten. Oha! Einige Mitarbeiter:innen der Deutschen Bahn steigen aus und müssen einen Wagen überprüfen. Wir erreichen den Bahnhof Kassel Wilhelmshöhe nur mit einer guten halben Stunde Verspätung. Glück gehabt. Es hätte schlimmer kommen können. Abends auf der Fahrt nach Frankfurt fügt sich eine Verspätung trefflich mit meinen Plänen. Der ICE ist fast leer, ich habe ein ganzes Abteil für mich – herrlich. Tags darauf im RE nach Zwingenberg die übliche Pendler-Demütigung. Der (zu kurze) Zug brechend voll, die Klimaanlage wieder einmal ausgefallen. 

Die Rückfahrt nach Berlin lässt sich anfangs gut an; der ICE fährt pünktlich in den Frankfurter Hauptbahnhof ein. Wir starten aber mit 20 Minuten Verspätung, der Speisewagen muss geräumt werden – in diesem Zug gibt es “heute kein gastronomisches Angebot”. Auch recht. Wir zuckeln los, müssen dann aber in Frankfurt Süd schon wieder stehen bleiben – auf der Toilette wurde geraucht. Wahrscheinlich ging irgendein Alarm an. Nach einer Stunde verlassen wir endlich Frankfurt. Vor Erfurt schreckt uns der Zugchef mit einer Durchsage auf: Weichenstörung! Ich rechne mit einer weiteren Stunde Verspätung, da kommt auch schon die frohe Kunde: das Problem ist behoben. Irgendwann hat der Zug noch eine Türstörung, und mit einer Stunde Verspätung erreichen wir unser Ziel. Vom Zugpersonal ließ sich während der ganzen Fahrt niemand blicken.

Die Deutsche Bahn ist abgerockt. Der Staatskonzern wurde jahrzehntelang auf Effizienz getrimmt, die Instandhaltung des Netzes und des Materials zugunsten eines höheren Profits vernachlässigt. Das rächt sich nun und wird sich so schnell nicht korrigieren lassen. Der für das Netz zuständige Vorstand der Deutschen Bahn, Berthold Huber, rechnet jedenfalls für die kommenden Monate mit starken Beeinträchtigungen für die Fahrgäste. Das verheißt nichts Gutes, zudem nun auch noch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit unbefristeten Streiks in der Urlaubszeit droht. Und im Herbst stehen die Tarifverhandlungen mit der streiklustigen GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) an. Einen konstruktiven Vorschlag bietet die FAZ an: “Statt auf Rücksichtnahme der Gewerkschaften zu hoffen, sollte die Ampel endlich gesetzlich sicherstellen, dass bei Streik künftig wenigstens eine mobile Grundversorgung auf der Schiene gewährleistet ist.” (23.06.23) Gute Reise! 

Nichts bleibt, wie es ist

Durch den angeschwemmten Sand aus der Ostsee wird der Neubessin immer größer. © Karl Grünkopf

Wenn ich früher in den Urlaub gefahren bin, war ich weg. Irgendwann meldete ich mich bei den Eltern per Telefon, die Freunde bekamen Postkarten. Oft stand das genaue Ziel nicht einmal fest – irgendwo in der Toskana oder in Griechenland. Mit dem Beginn der Reise hörte die Arbeit auf, dann und wann meldete ich mich per Telefon im Büro oder bekam auch mal ein Fax. Der Job war ganz weit weg, und das war auch gut so. In unseren smarten Zeiten ist fast niemand mehr richtig verreist. Ständig sind wir auf dem letzten Stand, viele können nicht einmal beim Essen ihr Handy weglegen. Man isst & schweigt zusammen und starrt auf den Bildschirm. Stets wird der digitalen Kommunikation mehr Bedeutung beigemessen als der realen – ich hasse das! Längst ist bekannt, dass ständige Verfügbarkeit Stress bedeutet; allein, jede:r muss für sich das richtige Maß finden.

Es ist gar nicht so einfach, das Handy „nur“ zum Fotografieren mitzunehmen und nicht schnell einmal zu gucken, ob es neue Nachrichten gibt. Bei unserem traditionellen Spaziergang auf den Altbessin hatte ich meinen Alleskönner ganz bewusst mitgenommen, denn ich wollte die riesige Sandbank fotografieren, die sich zwischen Hiddensee und Rügen immer weiter vergrößert. So hatten wir den Neubessin noch nie gesehen; betreten darf man das Naturschutzgebiet natürlich nicht. Wir hatten den Eindruck, das Eiland sei seit dem letzten Besuch sehr viel größer geworden; aber dem ist wohl nicht so, wie uns eine Mitarbeiterin im Nationalparkhaus Hiddensee versichert. Der Blick auf diesen Wandel der Natur ist atemberaubend, zwei Halbinseln wachsen langsam zusammen. Die Fähren scheinen wie auf Sand zu fahren.

Nicht bloß die Natur ändert sich laufend, auch die Verhältnisse auf der Insel bleiben natürlich nicht gleich. Mit Staunen lesen wir von einer Weinprobe für schlappe 80 Euro, die ein Shop namens „Goldperle“ anbietet; das Zeltkino hat einen neuen Beamer (mit viel zu lautem Lüfter) bekommen und bietet eine „Männersache“ an: gezeigt wird „Fast & Furious 10“, zum Ticket für einen Zehner gibt’s Popcorn und ein Bier. Das ist so wenig unser Hiddensee wie die launigen Kapitänsabende am Hafen und spricht ein anderes Publikum an. Die Hafenerneuerung von Vitte ist da schon ein anderes Kaliber. Dass eine Sanierung notwendig ist, steht nicht zur Diskussion. Eine schicke Modernisierung aber passt nicht zur Insel und wird ihre Ressourcen überlasten. Deshalb machen wir gerne bei der Bürgerinitiative HAFEN VITTE mit – „Hafensanierung und Schutz müssen sein, Massentourismus NEIN“ ist ihre Parole. Wer wollte da widersprechen!

Weites Land

Noch gibt es genug Wasser für die Pferde auf der Insel Hiddensee. Eine Wasserstelle ist aber schon ausgetrocknet. © Karl Grünkopf

Fernsehen schauen wir fast nie, und Western sind erst recht nicht unser Ding. Warum eigentlich? In den besten Filmen des Genres werden die großen psycho-sozialen Themen unserer Gesellschaft verhandelt – Liebe, Eifersucht, Macht, Vater-Sohn-Konflikte. Bei ARTE steht ein abendfüllender, glänzend besetzter Western aus dem Jahr 1958 auf dem Programm. In fast drei Stunden erzählt der Regisseur William Wyler in „The Big Country“ (Weites Land) die Geschichte zweier verfeindeter Familien; beide haben große Viehherden, aber keinen Zugang zu Wasser. Während die alten Patriarchen den Konflikt wie gewohnt mit Waffen austragen, setzt ein smarter Reederei-Erbe aus dem Osten (gespielt von Gregory Peck) auf Verhandlungen und eine faire Lösung. Natürlich „bekommt“ er am Ende noch die richtige und kluge Frau (Jean Simmons), von der er zuvor Land das umstrittene Land mit einer Wasserstelle gekauft hat. Ganz großes Kino, ganz große Leidenschaften, ganz große Wahrheiten.

Wasser wird eines der wichtigsten Themen der nächsten Jahrzehnte. Wie kann es fair verteilt werden, wieviel steht den Menschen noch zur Verfügung? Müssen Golfplätze und Pools in Südeuropa verboten werden? Viele Inseln haben kein eigenes oder zu wenig Grundwasser. Dieses Problem stellt sich mit der zunehmenden Klimaerwärmung immer drängender. Mallorca, Sylt oder Hiddensee leben vom Tourismus. Dieses Geschäftsmodell gerät immer stärker unter Druck. Wenn der Tourismus nicht eingeschränkt wird, werden die Ressourcen bald nicht mehr reichen.Vom sanften Tourismus geht die Rede. Auf Hiddensee kann man das gerade verfolgen. Soll der Hafen von Vitte „nur“ saniert oder ausgebaut werden. Wenn mehr Liegeplätze geschaffen werden, kommen mehr Boote, die Strom & Wasser brauchen. Zumindest auf der autofreien Insel gibt es bei vielen Einwohner:innen & Gästen einen Konsens – keine Steigerung des Tourismus. Der Bürgerinitiative Hafen Vitte – Nein zum Hafenausbau sind wir inzwischen beigetreten. Eine Premiere.

Es wird nicht mehr so weitergehen, wenn das so weitergeht. Das ist inzwischen (fast) allen klar, trotzdem machen wir alle so weiter. Darauf will „Die letzte Generation“ hinweisen, die mit ihren Klebe-Attacken viel Verdruss provoziert und kaum Verständnis findet. Inzwischen hat die Aktionsgruppe ihre Strategie geändert und nimmt jetzt Superreiche, also Super-CO2-Verbraucher in den Fokus. Auf Sylt wurden ein Privatjet und die Bar eines Luxushotels angesprüht. „Superreiche stoßen CO₂ aus, als gäb’s kein Morgen“, schreibt Samira El Ouassil in der Online-Ausgabe des „Spiegel“. „Die reichsten 10 Prozent in Deutschland waren im Jahr 2015 zusammen für mehr CO2-Ausstoß verantwortlich als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Ebenso sind die reichsten 10 Prozent weltweit für 52 Prozent der CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2015 verantwortlich. Der durchschnittliche CO2-Ausstoß von Milliardären hat im Jahr 2018 8190 Tonnen pro Kopf betragen. Raten Sie mal, was der Pro-Kopf-Ausstoß weltweit beträgt: 5 Tonnen.“ (08.06.23) Wir alle handeln wider besseres Wissen!

Inselverhältnisse

Wasserflugzeug am Strand von Hiddensee mit Margarete Hauptmann an Bord. © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

Seit vielen Jahren fahren wir im Frühsommer auf die Insel Hiddensee, die man von Rügen aus sehen kann; trotzdem dauert die Überfahrt mit dem Schiff noch eine gute Stunde. Weil die EVG (die Eisenbahn Verkehrsgewerkschaft vertritt 180.000 Mitglieder) oft sehr kurzfristig zu Warnstreiks aufruft, sind wir dieses Mal mit dem Auto nach Schaprode gefahren, um der Gefahr zu entgehen, auf Hiddensee festgesetzt zu werden. Es gäbe gewiss Schlimmeres als einen Zwangsaufenthalt auf unserer Trauminsel, auf der wir noch jedes Mal neue Entdeckungen & Erfahrungen machen. Per Zufall wurde ich auf eine öffentliche Gemeinderatssitzung aufmerksam. Solch eine Zusammenkunft haben wir noch nie erlebt; also machen wir uns per Rad auf den Weg nach Neuendorf, dem südlichsten Ort der Insel, die fast so lang ist wie Manhattan. Die Sitzung findet im Feuerwehrhaus statt und beginnt pünktlich. Der Bürgermeister Thomas Gens leitet die Versammlung routiniert; sechs von acht Gemeinderatsmitgliedern sind anwesend; bis auf eine Ausnahme werden alle Anträge einstimmig angenommen.

Es geht um Eilbeschlüsse zu Bauanträgen, Befestigung von Wegen, Zäunen, Kehrmaschinen oder um die Kontrolle des Hundeverbots am Strand. Ich frage nach dem Stand der umstrittenen Hafensanierung in Vitte. Momentan liege diese Angelegenheit beim Hafenausschuss, in dem auch eine Bürgerinitiative vertreten ist. Unsere Reise nach Neuendorf bestätigt: in den Ausschüssen werden die Entscheidungen weitgehend ausgehandelt. Die Bürgerinitiative HAFEN VITTE erinnert in ihrem letzten Newsletter vom November 2022 daran, dass eine Hafensanierung einem schlüssigen Tourismuskonzept folgen müsse. Im vergangenen Jahr haben sie dazu eine Umfrage durchgeführt: „Eindeutig geht daraus hervor, dass auf Hiddensee lebende Menschen keine Steigerung des Tourismus möchten. Gäste stimmten zu 92,5 % der Aussage zu, dass die Insel sich zu einer ökologischen, nachhaltigen Insel für Menschen, die Ruhe und Einsamkeit jenseits von Touristenströmen suchen, entwickeln sollte.“

Bei einem „historischen Spaziergang“ durch Kloster erfahren wir von der Leiterin des Heimatmuseums Jana Leistner, dass die Bewohner:innen der Insel vor dem Tourismus ein karges Leben fristen mussten. Das änderte sich Anfang des letzten Jahrhunderts, als das Hotel Hitthim, das Wieseneck oder die Lietzenburg entstanden und Gerhart Hauptmann von der Gemeinde ein Haus kaufte und wenig stilsicher um einen Anbau erweiterte. Wenn der Weinkeller frisch gefüllt war, soll der Nobelpreisträger des Jahres 1912 wie ein König auf der Insel eingezogen sein. Ob er einmal sogar mit einem Wasserflugzeug auf die Insel reiste, ist nicht verbürgt. Tatsächlich gab es von 1928 -1936 eine Linienverbindung von Stralsund nach Kloster – nur 15 Minuten dauerte der Flug. Heute ist man auf dieser Strecke per Schiff fast zweieinhalb Stunden unterwegs und gewöhnt sich während der Fahrt an das langsame Leben in „dat söte Länneken“, wie die Einwohner:innen von Hiddensee ihr Paradies nennen. Es ist an uns allen, es trotz notwendiger Veränderungen zu bewahren!