
Seit vielen Jahren fahren wir im Frühsommer auf die Insel Hiddensee, die man von Rügen aus sehen kann; trotzdem dauert die Überfahrt mit dem Schiff noch eine gute Stunde. Weil die EVG (die Eisenbahn Verkehrsgewerkschaft vertritt 180.000 Mitglieder) oft sehr kurzfristig zu Warnstreiks aufruft, sind wir dieses Mal mit dem Auto nach Schaprode gefahren, um der Gefahr zu entgehen, auf Hiddensee festgesetzt zu werden. Es gäbe gewiss Schlimmeres als einen Zwangsaufenthalt auf unserer Trauminsel, auf der wir noch jedes Mal neue Entdeckungen & Erfahrungen machen. Per Zufall wurde ich auf eine öffentliche Gemeinderatssitzung aufmerksam. Solch eine Zusammenkunft haben wir noch nie erlebt; also machen wir uns per Rad auf den Weg nach Neuendorf, dem südlichsten Ort der Insel, die fast so lang ist wie Manhattan. Die Sitzung findet im Feuerwehrhaus statt und beginnt pünktlich. Der Bürgermeister Thomas Gens leitet die Versammlung routiniert; sechs von acht Gemeinderatsmitgliedern sind anwesend; bis auf eine Ausnahme werden alle Anträge einstimmig angenommen.
Es geht um Eilbeschlüsse zu Bauanträgen, Befestigung von Wegen, Zäunen, Kehrmaschinen oder um die Kontrolle des Hundeverbots am Strand. Ich frage nach dem Stand der umstrittenen Hafensanierung in Vitte. Momentan liege diese Angelegenheit beim Hafenausschuss, in dem auch eine Bürgerinitiative vertreten ist. Unsere Reise nach Neuendorf bestätigt: in den Ausschüssen werden die Entscheidungen weitgehend ausgehandelt. Die Bürgerinitiative HAFEN VITTE erinnert in ihrem letzten Newsletter vom November 2022 daran, dass eine Hafensanierung einem schlüssigen Tourismuskonzept folgen müsse. Im vergangenen Jahr haben sie dazu eine Umfrage durchgeführt: „Eindeutig geht daraus hervor, dass auf Hiddensee lebende Menschen keine Steigerung des Tourismus möchten. Gäste stimmten zu 92,5 % der Aussage zu, dass die Insel sich zu einer ökologischen, nachhaltigen Insel für Menschen, die Ruhe und Einsamkeit jenseits von Touristenströmen suchen, entwickeln sollte.“
Bei einem „historischen Spaziergang“ durch Kloster erfahren wir von der Leiterin des Heimatmuseums Jana Leistner, dass die Bewohner:innen der Insel vor dem Tourismus ein karges Leben fristen mussten. Das änderte sich Anfang des letzten Jahrhunderts, als das Hotel Hitthim, das Wieseneck oder die Lietzenburg entstanden und Gerhart Hauptmann von der Gemeinde ein Haus kaufte und wenig stilsicher um einen Anbau erweiterte. Wenn der Weinkeller frisch gefüllt war, soll der Nobelpreisträger des Jahres 1912 wie ein König auf der Insel eingezogen sein. Ob er einmal sogar mit einem Wasserflugzeug auf die Insel reiste, ist nicht verbürgt. Tatsächlich gab es von 1928 -1936 eine Linienverbindung von Stralsund nach Kloster – nur 15 Minuten dauerte der Flug. Heute ist man auf dieser Strecke per Schiff fast zweieinhalb Stunden unterwegs und gewöhnt sich während der Fahrt an das langsame Leben in „dat söte Länneken“, wie die Einwohner:innen von Hiddensee ihr Paradies nennen. Es ist an uns allen, es trotz notwendiger Veränderungen zu bewahren!