Der Rubel rollt

Russland verlangt die Zahlung seiner Energieexporte in Rubel und unterläuft so die Sanktionen des Westens. © Pixabay

Es ist trocken, viel zu trocken in Deutschland. Noch nie waren unsere Pflanzen im Vorgarten schon im März auf unser Gießen angewiesen. Jeden Tag schleppe ich eine Gießkanne herunter – die Leitung ist seit dem Winter immer noch zu. Neben den vielen aktuellen Problemen wird die Wasserknappheit uns noch zu schaffen machen. Selbst in Brandenburg, wo es über 3.000 Seen gibt, fehlt das Wasser. Umso überraschender, dass Tesla in diesem Bundesland in einem Wasserschutzgebiet seine erste Giga Factory in Europa hochziehen konnte. Der Bau – teilweise mit nachgeschobenen oder vorläufigen Genehmigungen – wurde in nur 2 Jahren errichtet und gilt schon jetzt als Erfolgsgeschichte der Industrieansiedlung hierzulande. Die ersten dreißig E-Autos wurden von Elon Musk mit großem Tamtam persönlich an die Kunden übergeben; die Politprominenz mit dem Kanzler an der Spitze gab sich die Ehre. Zwar fahren die Wagen emissionsfrei, aber allzu gerne wird übergangen, dass der Strom der Batterien nicht grün ist, sondern zum größten Teil aus fossilen Kraftwerken stammt.

Tesla gilt mit einer Marktkapitalisierung von über 250 Milliarden Euro als wertvollster Autokonzern der Welt und hat seinen charismatischen Gründer Elon Musk zum reichsten Menschen der Welt gemacht. Der Mann hat Visionen, kann sie verkaufen und umsetzen. Einer Dystopie gleichen hingegen die kruden Allmachtsphantasien von Wladimir Putin, der gerade die Ukraine mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg überzieht. Der russische Autokrat ist fest davon überzeugt, dass der Untergang der Sowjetunion vor 25 Jahren die „größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Diesen Zerfall zu revidieren ist das erklärte Ziel des ehemaligen KGB-Agenten, der dabei keinerlei Skrupel kennt. Das hätten wir uns alle klar machen können, nicht bloß die vielen Putin-Versteher und Kooperationspartner. „Unbekümmert sahen sie hinweg“, hält der britische Observer fest, „über die Zerstörung von Grosny, die Kriegsverbrechen in Aleppo, die Raketenangriffe auf zivile Flugzeuge, die Invasion auf der Krim, die Zerstörung der russischen Demokratie, die endemische Korruption, die endlosen Lügen und die Vergiftung von Alexander Litwinenko, Sergej und Julia Skripal und Alexej Nawalny. Und erst jetzt erkennen sie alle plötzlich, dass der Kreml vielleicht doch kein seriöser Geschäftspartner ist“. (20.03.2022).

Genauso fanatisch wie seine großrussischen Expansionspläne verfolgt Putin die Destabilisierung des Westens. Das dürfte dem versierten Schachspieler auch jetzt wieder mit der Forderung gelingen, dass die russischen Energieexporte künftig in Rubel zu zahlen sind. Er kann darauf setzen, dass es in der EU kein einheitliches Embargo geben wird; jedes Land verfolgt seine eigenen Interessen, Ungarn hat schon ein Veto angekündigt. Zwar sind die Verträge in Dollar und Euro abgeschlossen, aber glaubt ernsthaft irgendjemand, Putin würde sich einem Urteil des internationalen Gerichtshofes beugen. Niemals. Und wieder wird es dem neuen Zaren gelingen, einen Keil in die EU zu treiben. Unsere Naivität der letzten Jahre rächt sich jetzt bitter. Deshalb gibt es hierzulande auch kaum mehr funktionierende Sirenen, Bunker oder zivile Schutzräume für die Bevölkerung, vom Zustand der Bundeswehr ganz zu schweigen. Am Wochenende wählt das Saarland – der erste Stimmungstest nach der Bundestagswahl. Die SPD liegt in den Umfragen deutlich vorn. An Olaf Scholz und Karl Lauterbach dürfte das wohl nicht liegen.

Mangelwirtschaft

Mehl wird wieder rationiert im Supermarkt; das Foto entstand am 18. März gegen Mittag. © Rolf Hiller

Im Weingeschäft treffe ich meinen Jazzfreund aus der Nachbarschaft; Hamsterkäufe haben hier noch nicht stattgefunden. Wir sprechen über die bedrückende Lage und sind beide gegen eine Schließung des Luftraums über der Ukraine; zu groß wäre die Gefahr eines 3. Weltkriegs. Er zeigt mir ein dickes Buch, das er gerade gekauft hat: „Putins Netz“ von Catherine Belton, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Ihr 2020 – trotz „juristischer“ Anfeindungen – in England erschienenes Buch (Originaltitel: »Putin’s People«) wurde von The Economist, der Financial Times, The New Statesman und The Telegraph zum Buch des Jahres gekürt. Bin gespannt, was der Jazzfreund berichtet, wenn wir uns das nächste Mal uff de Gass‘ treffen.

Zwei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte mich ein anderer Freund gefragt, wie lange der Krieg meiner Ansicht nach dauern würde. Drei Wochen höchstens, gab ich zurück, ohne dass ich diese Einschätzung hätte näher begründen können. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass sich Putin und seine Strategen gründlich verschätzt haben. Die Ukraine leistet gegen die überlegene russische Armee erbitterten Widerstand. Die Lage für die Bevölkerung in den umkämpften Städten wird immer verzweifelter. Während es dort für die Freiheit um Leben und Tod geht, beklagen wir hierzulande die ökonomischen Folgen des Krieges, wie es der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Rede im Bundestag gestern anprangerte. Kein Wort des Kanzlers dazu, keine Aussprache, weiter ging es mit der Tagesordnung – „die deutsche Politik lieferte der Welt damit ein beschämendes Schauspiel“ (Tagesspiegel, 18.03.22). Vor der Brutalität des Krieges treten seine Konsequenzen für uns (noch) zurück. Täglich strömen Zehntausende Flüchtlinge nach Deutschland und werden in Berlin von vielen freiwilligen Helfer:innen empfangen & versorgt. Die Kosten für fossile Energie gehen durch die Decke; der Discounter Aldi hat die Preise für 400 Produkte erhöht. Grundnahrungsmittel wie Mehl oder Speiseöl werden knapp und dürfen nur einzeln gekauft werden. Russland hat übrigens einen Exportstopp für Weizen, Gerste und Roggen erlassen, und in der Ukraine dürfte heuer im März deutlich weniger Getreide ausgebracht werden.

Über der Weltlage mit den sich verschärfenden wirtschaftlichen Problemen (Rohstoffmangel, Teuerung, fehlende Produkte, stockende Logistik) ist die Pandemie in den Hintergrund getreten, obwohl das RKI täglich neue „Rekorde“ meldet: Inzidenz knapp über 1.700, fast 300.000 Neuinfektionen. Das Gesundheitssystem scheint nicht überlastet zu werden. Deshalb hat die Ampel-Koalition ein neues Infektionsschutzgesetz verabschiedet, das bis auf einen Basisschutz fast alle Beschränkungen bundesweit aufhebt. Nun obliegt es den Landesparlamenten, sogenannte Hotspots (Landkreise oder Städte) festzustellen, für die verschärfte Regeln erlassen werden können.Tunlichst informiere man sich vorher, wenn wieder einmal ein Ausflug nach Haßberge oder Rostock ansteht; beide Landkreise haben heute die höchsten Inzidenzen. Sechs von zehn Bundesbürgern sind übrigens gegen die Lockerungen. Ihnen dürfte nicht der Sinn nach einer Party zum Freedom-Day stehen wie Wolfgang Kubicki und seinen Kumpels in der FDP. Mir auch nicht. Ich werde beim Einkaufen weiter Maske tragen. Freiwillig.

Zum Warten verdammt

Nach dem 2. Weltkrieg stand Deutschland unter der Kontrolle der Alliierten. Das Fundstück in unserem Quartier bricht die unwirkliche Idylle in Zeiten des Kriegs in Europa. © Karl Grünkopf

Zu meinem Beitrag der letzten Woche schrieb hgamma einen kurzen Kommentar, der mir immer wieder durch den Kopf geht: „(seit Jahrtausenden) Die Hybris der Männergewalt hüben wie drüben macht sich dem Gräuel gegen schutzlose Frauen und Kinder kein Gewissen.“ Nach Putins Überfall auf die Ukraine sind Millionen Menschen auf der Flucht aus ihrer Heimat, zumeist Frauen und Kinder, weil wehrpflichtige Männer das Land nicht verlassen dürfen. Die EU signalisiert pausenlos Solidarität und verschärft weiter die Sanktionen gegen Russland. Ein Embargo der Energie-Importe im Wert von 1 Milliarde Euro (!) täglich gilt aber als ausgeschlossen – es würde die EU noch härter treffen als Russland. Unbehelligt von der Weltgemeinschaft geht der Krieg in der Ukraine in die dritte Woche, die Lage in vielen Städten wird immer auswegloser, eine Schließung des Luftraums lehnt die NATO indes kategorisch ab, um eine direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Ohnmächtig müssen wir den Terror der russischen Armee hinnehmen.

Die Frage nach dem Warum hat ein Freund in einer Mail aufgenommen, die mich in der vorletzten Woche erreichte. “In Kants ‚Ewigem Frieden‘ gibt es, wenn ich recht erinnere, die verstörende Stelle, wo er die Frage, warum die Inhaber der Macht diese auch immer rücksichtslos zu ihren Zwecken einsetzen, mit einem simplen ‚Weil sie es können!‘ beantwortet. So ist das tatsächlich.“ Doch es könnte noch schlimmer kommen, wie die New York Times befürchtet: „Die unausweichliche Demütigung ist unerträglich für diesen Mann, der davon besessen ist, die Würde und Einheit dessen wiederherzustellen, was er als russisches Mutterland ansieht. Putin marschiert deshalb in einen ewigen Krieg gegen die Ukraine und einen Großteil der Welt, der Russland langsam zusammenbrechen lassen wird. Und das ist entsetzlich. Denn es gibt nur eines, was schlimmer ist als ein starkes Russland unter Putin: Und das ist ein schwaches, gedemütigtes, ungeordnetes Russland – ein Land voller nuklearer Sprengköpfe, Cyberkrimineller, Öl- und Gasquellen, das zerbricht und in dem verschiedene Fraktionen um die Macht ringen.“ (10.03.22, zitiert nach DLF / Die Internationale Presseschau).

Dass die Zeit nach Putin noch schlimmer werden könnte, ist eine äußerst unangenehme Vorstellung – lieber ein Arrangement mit einem bekannt unberechenbaren Despoten als ein Machtvakuum nach dessen Beseitigung. Und während ich diesen Satz schreibe, verdüstert sich meine Stimmung an diesem herrlichen Vorfrühlingstag merklich. „Politik ist gelebter Opportunismus“ (Gerhard Strobel). Das weiß ein Vornamensvetter von ihm wie kein zweiter: der ehemalige Kanzler, Russland-Lobbyist und Putin-Freund Schröder soll sich derzeit in Moskau aufhalten, ohne Abstimmung & Auftrag. Sei‘s drum. Wenn er etwas erreichen kann, war seine Reise nicht vergebens. „Die Hoffnung stirbt nie!“ Der Titel meines Blogs der letzten Woche gilt weiter – trotz Wladimir Putin.

Die Hoffnung stirbt nie!

Wolodymyr Selenskyj an Wladimir Putin: „Setz Dich zu mir, sag mir, wovor Du Angst hast.“ © Pixabay

Wir haben es nicht geschafft, leider! Wir waren nicht bei der größten Friedensdemonstration seit Jahrzehnten auf der Straße des 17. Juni in Berlin. Die Veranstalter meldeten eine halbe Million Teilnehmer:innen, die Polizei ging von über 100.000 Menschen aus, die gegen Putins Überfall auf die Ukraine demonstrierten. Mucksmäuschenstill sei es während der Schweigeminute gewesen; nur die Vögel hätten gezwitschert. Ein starkes Signal für die Ukraine, die nach einer Woche Krieg zunehmend in Bedrängnis gerät. Das UN-Flüchtlingshilfswerk rechnet mit 10 Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen werden; davon suchen vermutlich 6 Millionen einen sichereren Ort im Land. Die größte Flüchtlingswelle seit dem 2. Weltkrieg droht. Anders als 2015 zeigen sich dieses Mal auch Polen und Ungarn gastfreundlich und haben schon Hunderttausende aufgenommen. Die Hilfsbereitschaft ist im Moment (noch) beeindruckend. Jede:r überlegt, wie der Ukraine geholfen werden könnte. Morgen hat eine Mitarbeiterin Geburtstag und bittet in einem Facebook-Post, in diesem Jahr auf Geschenke zu verzichten – und zu spenden.

Unter Tränen berichtete eine Deutschlehrerin aus Kiew im Radio, es gebe in der Ukraine Gerüchte , die Russen wollten das AKW Tschernobyl in die Luft sprengen. Wir wollen es nicht glauben, wir wollen nicht wahrhaben, wozu Putin fähig ist. Nach dem Aufstehen mache ich morgens immer sofort das Radio an und höre mit Schrecken, das AKW Saporischschja wurde  bombardiert. Zwar ist keiner der sechs Reaktorblöcke des größten Atomkraftwerks in Europa getroffen, aber diese Nachricht ist dennoch schockierend. Inzwischen haben die Russen das AKW eingenommen. Offensichtlich wollen sie die Versorgungsinfrastruktur unter Kontrolle bringen und die Ukraine zur bedingungslosen Kapitulation zwingen. Wie es scheint, ist Putin nicht bereit, sich auf Gespräche einzulassen. Mit dem Mut der Verzweiflung wendet sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj  direkt an den russischen ‚Zaren‘: „Ich beiße nicht. Ich bin ein ganz normaler Typ. Setz Dich zu mir, sag mir, wovor Du Angst hast.“ (zitiert aus dem F.A.Z. Newsletter vom 04.03.22).

Wenn Rationalität und Verständigung nicht mehr möglich sind, wird es gefährlich – für uns alle. Wen auch immer ich treffe uff de Gass‘ oder in Geschäften: alle sind voller Sorge. Der Überfall auf die Ukraine betrifft uns jeden. Was die Menschen dort durchmachen, können wir uns nicht vorstellen. Anfang der Woche war für einige Zeit die Heizung ausgefallen, und ich saß in Decken gehüllt am Rechner; es wurde unangenehm frisch in meinem Zimmer. Nach ein paar Stunden war es wieder warm und alles wieder in Ordnung, wahrscheinlich dank russischer Rohstoffe. Nichts ist in Ordnung! Wie mag es den Bürger:innnen in Kiew gehen, die seit einer Woche Nacht für Nacht angsterfüllt in den kalten U-Bahn-Stationen kampieren? Kanzler Olaf Scholz hat recht mit seiner Diagnose einer Zeitenwende, manche sprechen gar von einem Epochenbruch. Was das bedeutet, weiß niemand. Wir sollten auch, aber nicht nur mit dem Schlimmsten rechnen. „Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt, die Hoffnung stirbt nie!“ (Anonymous)