Was kost‘ die Welt

2011 geriet schon einmal ein Virus außer Kontrolle: Szene mit der Schauspielerin Jennifer Ehle in dem bestürzend aktuellen Film „Contagion“ von Steven Soderbergh. © Warner Bros. Pictures

„Machst Du mir ein Geschenk?“ fragt mich die Romni, die immer vor dem sog. Wertstoffhof sitzt. Natürlich kann sie meinen alten Hometrainer haben, der rasch in einem Lieferwagen verstaut wird. Was an dem Ding kaputt ist, interessiert sie nicht. Was sie mit dem treuen Kettler vorhaben, auf dem ich tausende Kilometer gestrampelt habe, würde ich zu gerne wissen. Dass es verdammt teuer werden kann, wenn jemand gegen die Auflagen des Infektionsschutzgesetzes verstößt, ist uns aber jetzt bekannt. Eine junge Frau hatte zu ihrem 30. Geburtstag vier Gäste in der Wohnung und wurde von einem Nachbarn verpfiffen: Ordnungsstrafe pro Kopf 500 Euro. Da kamen fünf Kampftrinker in Offenbach noch günstig weg; sie hatten sich in einem Wasserhäuschen (Trinkhalle) verschanzt und wollten sich die Kante geben. Sie mussten den Schlüsseldienst und jeweils 200 Euro berappen. Vergleichsweise günstig kommt man:frau in Rheinland-Pfalz davon. In den Nachrichten heute Morgen in SWR 2 wurde vermeldet, dass eine solche Ordnungswidrigkeit 50 Euro kostet. Der Ermessensspielraum ist übrigens erschreckend groß: bis zu 25.000 Euro können verhängt werden!

Das sind natürlich Peanuts im Vergleich zum Big Money im Fußball. Mit Staunen haben wir diese Woche erfahren, dass selbst für Trainer Millionen gezahlt werden, damit sie vorzeitig aus einem Vertrag kommen. Den Vogel schossen natürlich wieder die Bayern ab: angeblich hat der RB Leipzig 20 Millionen dafür erhalten, dass ihr Trainer Julian Nagelsmann nächste Saison in München arbeitet. Mir san mir, und Corona scheint die Geschäfte nicht zu beeinträchtigen, obwohl diese Saison keine Zuschauer:innen in die Stadien dürfen. Andere Branchen stehen dagegen mit dem Rücken zur Wand und wären ohne die Corona-Hilfen des Bundes längst platt. 240 Milliarden (!) beträgt die Aufnahme neuer Schulden allein in diesem Super-Wahljahr. Zinsen werden keine fällig, die Rückzahlung wird den nächsten Generationen aufgebürdet. Die Babyboomer lassen es weiter krachen und leben munter auf Kosten der Zukunft. Das gilt natürlich auch für den Klimaschutz, wie das Bundesverfassungsgericht in einem spektakulären Urteil feststellte. Vielleicht wird ja Annalena Baerbock die erste echte Klimakanzlerin – anders als Angela Merkel.

Erstaunlich hellsichtig hat ein zehn Jahre alter Film unsere aktuelle Situation antizipiert: Steven Soderberghs „Contagion“. Uwe Bettenbühl befand damals: „Sollten Epidemien wie EHEC, H5N1, SARS oder neue, mutierte Erreger außer Kontrolle geraten, dann ist die Haut, in der man wohnt, kein sicherer Ort mehr.“ (FRIZZ Das Magazin für Frankfurt, 10/2011). Wir sind gebannt von diesem prominent besetzten und überhaupt nicht reißerisch inszenierten Film, als würde das erste Corona-Jahr wie ein Déjà-vu noch einmal ablaufen. Angst, Verunsicherung, Panik, Kollaps des Gesundheitssystems, Massenbegräbnisse – schließlich wird in kürzester Frist ein Impfstoff gefunden. Scheinbar haben damals „Contagion“ (Ansteckung) zu wenige Politiker:innen & Expert:innen gesehen. Sonst hätten wir vor einem Jahr zumindest genug Masken gehabt und nicht über deren Schutzfunktion debattieren müssen. Was Wunder, dass „Contagion“ bei den Streamingdiensten derzeit zu den am meisten aufgerufenen Filmen zählt.

Angebote

Kommt in den Medien nach der Nominierung gut rüber: Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Partei Die Grünen. © gruene.de

Dürfen sich zwei geimpfte Haushalte à 2 Personen zum Kaffee treffen? Nein, aber wir dürfen nacheinander (!) so viele Personen einladen, wie wir möchten. Mit gesundem Menschenverstand entscheiden wir uns für den Regelverstoß und bitten die Gäste ungleichzeitig in unsere Wohnung. Ich habe Tischkarten mit den Namen aufgestellt, und mein Wett-Angebot, wer denn bei den Grünen das Rennen am nächsten Tag macht, wird freudig aufgenommen. Wer verliert, soll ein viergängiges grünes Menü kochen. Leider sind wir Politprofis und wetten alle auf Annalena – und werden jetzt zusammen etwas Grünes kochen, was auch nach der sog. Bundesnotbremse nicht zulässig ist.

Das neue Gesetz, das längstens bis zum 30. Juni gilt und rechtlich höchst umstritten ist, schert anhand der Inzidenzen das Leben in Deutschland über einen Kamm. Plötzlich müssen Schulen ab einem Wert von 165 schließen; ab 100 gelten zwischen 22 und 5 Uhr eine Ausgangssperre und generell ein Beherbergungsverbot. Während Urlaub hierzulande erst einmal flach fällt, sind Reisen ins Ausland möglich. Freunde von uns freuen sich wie Bolle, dass sie plötzlich doch nach Kreta fliegen dürfen; den Griechen hingegen ist das Reisen im eigenen Land untersagt. Diese womöglich notwendigen Widersprüche nehmen wir schicksalsergeben hin, aber sie lassen die Zustimmung zur Corona-Politik der Regierenden weiter sinken. Das Bundesland Hessen äußerte Bedenken zur Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes, konnte sich aber nicht durchsetzen. „Die vollständige Außerachtlassung weiterer Kriterien neben der Inzidenz (insbesondere Impfstatus, Hospitalisierungsrate/Intensivbettenauslastung, Reproduktionszahl, die Quote der Positiv-Testungen, Möglichkeiten der Kontaktnachverfolgung) stellen Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Frage.“ (zitiert nach Tagesspiegel, 16.04.21)

Durch die Aufregung über das „Einsperrgesetz“ (Nordwest-Zeitung/Oldenburg) ist der erbitterte Streit um den Kanzlerkandidaten der Unionsparteien schon wieder in den Hintergrund getreten. Verblasst sind die hämischen Attacken des Populisten aus Bayern gegen Armin Laschet, der die Angriffe seines „Freundes“ Söder mit bemerkenswerter Contenance aussaß. Vielleicht ist es an der Zeit, über die Fraktionsgemeinschaft der C-Parteien nachzudenken. Hochgerechnet auf Deutschland holte die CSU bei der Bundestagswahl 2017 6,2% der Stimmen; sie ist damit die kleinste Partei im Bundestag. Aus purem Machtinstinkt werden aber die Freunde erst einmal weitermachen, sonst lägen Die Grünen schon jetzt in den Umfragen vorne, und Annalena Baerbock hätte noch bessere Chancen auf die Kanzlerschaft. Nach ihrer Nominierung am Montagmorgen gab sie sich abends beim Wohlfühl-Interview in ProSieben sehr souverän. Auffällig oft möchte sie „ein Angebot machen“. Dass sie keine Regierungserfahrung hat, dafür aber Kitas und Schulen von innen kennt und noch weiß, was einkaufen bedeutet, ist kein Nachteil. Im Gegenteil!

Kaufen & Verkaufen

Warten vor dem Testzentrum. © Rolf Hiller

Nichts ist einfach in Zeiten der Pandemie; das gilt natürlich auch fürs Shoppen. Dabei wollte ich keinen ausgedehnten Bummel durch Geschäfte machen, sondern lediglich eine Sitzprobe. Nach fünfzehn Jahren sind die Lager meines Hometrainers, den ich zuletzt täglich genutzt habe, ausgeschlagen. Irgendeinen Murks hätte ich mir mit ein paar Clicks bestellen können, aber ich hatte mir ein ganz bestimmtes Modell ausgeguckt – und wollte zumindest einmal Probe sitzen. Auf zum Testzentrum umme Ecke, ohne Termin eine dreiviertel Stunde angestanden. Mit dem (negativen) Ergebnis am nächsten Morgen zum Laden auf den Ku’damm und vorher noch die Luca-App installiert. An einem kühlen Sonnabend war ich um die Mittagsstunde der einzige Kunde. Bevor ich reindurfte, musste ich meine Daten auf der App vervollständigen. Dann kann ich mich endlich auf den Hometrainer meiner Wahl setzen. Insgesamt bin ich gerade einmal zehn Minuten im Laden und kann den Ergometer doch erst zu Hause bestellen. So macht Shopping noch weniger Spaß als sonst.

Was sind solche Probleme gegen die der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, die sich gerade selbst zerlegt und die Republik mit ihrer Kandidatensuche fürs Kanzleramt seit Wochen nervt. Dabei macht Angela Merkel überhaupt keine gute Figur. Nach Annegret Kramp-Karrenbauer hat sie zur besten Sendezeit nun auch den Vorsitzenden Armin Laschet demontiert. Der Söder Markus lacht sich derweil ins Fäustchen und lässt keine Gelegenheit aus, seinem „Freund“ Armin tüchtig einzuschenken. Die Umfragewerte scheinen für den bayrischen Ministerpräsidenten zu sprechen, der sich glänzend inszeniert und vor keinem PR-Gag zurückschreckt, und sei er noch so peinlich. Angela Merkel lud er zu einer Kutschfahrt ins Schloß Herrenchiemsee ein, und wenn’s passt, umarmt er schon mal Bäume und turtelt mit den Bienchen. Er gibt sich als Macher in der Pandemie, hat aber die Lage in Bayern nicht besser im Griff als Laschet in NRW.

Wäre Söder der bessere Kanzler, weil er sich besser verkauft? Zumindest kann er, der bis dato das historisch schlechteste Ergebnis für seine Partei eingefahren hat, von der Zustimmung seiner CSU-Ahnen bei einer Bundestagswahl nur träumen: Franz Josef Strauß erhielt 1980 für die CDU/CSU 44,5 Prozent der Stimmen, Edmund Stoiber holte 2002 immerhin noch 38,5% für die ungleichen Schwesterparteien. Beide Male reichte es nicht für einen CSU-Kanzler. Gewinnen Die Grünen dieses Amt im Herbst? Ihre Chancen stehen besser denn je, und ihr Spitzenpersonal agiert angenehm professionell und verkauft sich glänzend. Am Montag (19.04.) teilen sie ihre Entscheidung mit, wer ihr*e Spitzenkandidat*in sein wird; abends zur besten Sendezeit um 20.15h ist der- oder diejenige dann live im Fernsehen. Nicht in der ersten oder zweiten Reihe sondern bei ProSieben. Damit haben Die Grünen einen echten PR-Coup gelandet. Das dürfte sogar dem Söder Markus imponieren.

Impflinge

Steckt Boris Johnson hinter diesem Präsent für die Impflinge? © Rolf Hiller

Die Autos stauen sich in einer langen Schlange. Wir sind nicht die einzigen, die sich im Schmuddelwetter auf den Weg zum Corona-Impfzentrum im Flughafen Tempelhof gemacht haben. Im Stau warten dauert mir zu lange. Ich gehe bei Wind & Wetter einen Kilometer über die alte Rollbahn und komme gerade noch rechtzeitig an. Dann geht alles ganz schnell: in einer Viertelstunde sind die Formalitäten erledigt, und ich habe meine erste Impfung mit AstraZeneca erhalten. Bis zu 3.000 Impflinge können sie in Tempelhof täglich durchschleusen, erzählt mir ein Bundeswehrsoldat beim Check-In, heute seien es aber nur 2.500. Organisiert ist der Ablauf mit deutscher Gründlichkeit und viel Personal, das freundlich immer wieder den Weg weist. Am Ende müssen die Impflinge noch eine Viertelstunde in einer Halle warten, dann sind wir durch. Am Ausgang bekommen wir zur Belohnung drei Osterhasen mit der britischen Flagge geschenkt. Was mag diese Geste bedeuten? schießt es mir durch den Kopf.

Die Tage nach der Impfung bin ich etwas schlapp, bekomme allerdings weder Fieber noch fürchterliche Kopfschmerzen; das hätte ich aber in Kauf genommen. Hauptsache geimpft. Zumindest in Berlin geht es in unserer Alterskohorte voran – allein in dieser Woche kennen wir noch ein halbes Dutzend Kandidat*innen. Wenn die Meldungen stimmen, dann kommt jetzt wirklich Zug in die Impfkampagne. Das neue Werk von BionTech in Marburg ist am Start, Johnson & Johnson soll bald liefern, weitere Vakzine stehen vor der Zulassung. Was mag den glücklosen Gesundheitsminister Jens Spahn bewogen haben, mit Russland das Gespräch über die Beschaffung von Sputnik V zu suchen. Der Söder Markus aus Bayern machte gar einen Vorvertrag über 2,5 Mio. Impfdosen; andere Bundesländer folgen. Dabei soll es dem Robert-Koch-Institut zufolge keine Zulassung dieses Vakzins speziell in Deutschland geben. Zar Wladimir Putin dürfte sich ins Fäustchen lachen. Wieder einmal hat er einen Keil in die EU getrieben, wieder einmal hat er die Sanktionen lächerlich gemacht, die wegen der „Behandlung“ des Oppositionellen Alexej Nawalny verhängt wurden.

Jede Politik ist auch Symbolpolitik und manchmal eine blanke Katastrophe. „Haben“, empört sich der Berliner Tagesspiegel heute, „Wladimir Putins Agenten Markus Söder, Jens Spahn und Harry Glawe, dem Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, etwas ins Getränk gemischt? Sie fantasieren vom russischen Impfstoff Sputnik als Lösung der deutschen Corona-Probleme, wollen Vorverträge über Massenlieferungen abschließen und Steuergelder lockermachen – trotz größter Zweifel, ob das Vakzin jemals hier zugelassen wird.“ Glauben diese Politiker ernsthaft, dass sich jemand im Spätjahr mit Sputnik V impfen lassen wird – bei dem undurchsichtigen Gebaren der Lieferanten? Die Herren scheinen von allen guten Geistern verlassen und sich der Symbolik ihres Tuns nicht (mehr) bewusst. Das war sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sehr wohl – und Ursula von der Leyen und Charles Michel tappten bei ihrem Besuch prompt in seine Falle. Die EU-Kommissionspräsidentin „musste“ sich auf das Sofa setzen, der EU-Ratspräsident nahm neben dem türkischen Sultan auf dem Sessel Platz. Eine Demütigung Ursula von der Leyens, aller Frauen und der EU. Beschämend!

Freiwillige gesucht!

Wer durchkommt bei der Hotline, kriegt zur Belohnung den Stoff. © Roland Steinmann auf Pixabay

Ein Mann will ganz nach oben und ist (deshalb) nie um einen kernigen Spruch verlegen. „Wer will und wer es sich quasi traut, der soll auch die Möglichkeit haben“, äußerte sich der Söder Markus, noch amtierender bayerischer Ministerpräsident, in München über das umstrittene Vakzin von AstraZeneca. Wir trauen uns und lassen am Gründonnerstag geduldig die lange Ansage der Senatsverwaltung für Gesundheit in Berlin über uns ergehen – nun sollen nur noch die Ü 60 mit AstraZeneca geimpft werden, wenn sie sich trauen. Endlich kommen wir wenigstens bis zur Warteschleife und fliegen dann doch nach 33 Minuten raus; es habe technische Probleme gegeben, heißt es abends in den Nachrichten beim Inforadio. Oder doch zu viele Freiwillige? Am Good Friday, wie der Karfreitag im angelsächsischen Sprachraum heißt, haben wir mehr Glück. Nach ewigem Gedudel meldet sich plötzlich ein Mensch in der Leitung und ratzfatz vereinbaren wir unsere beiden Termin nach Ostern und im Juni.

Nun bin ich nicht besonders ängstlich, aber es ist schon ein gutes Gefühl, meine nächsten Fahrten im ICE oder im ÖPNV als Impfling zu unternehmen: der Abstand in den Zügen oder U-Bahnen lässt sich doch oft nicht einhalten. Das zumindest steht fest, während ansonsten die Verunsicherung & Verärgerung bei den Menschen draußen im Lande weiter zunimmt, nicht bloß wegen Mallorca. Nach Click & Collect und Click & Meet gilt jetzt in der Hauptstadt ein neues Modell: Test & Meet. Nur mit einem aktuellen Schnelltest auf dem Handy dürfen die Leute noch ein Geschäft betreten, das nicht der unmittelbaren Versorgung von Mensch und Tier dient. „Unter Aufsicht“ sind übrigens auch Selbsttests erlaubt. Mit solchen Anreizen, wenn sie denn welche sind, hoffen auch die Ministerpräsidenten von NRW und Saarland mehr positive Fälle festzustellen.

Dafür wurde der CDU-Vorsitzende und amtierende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet von der Kanzlerin bei „Anne Will“ zur besten Sendezeit abgewatscht. Diese Schelte vor laufender Kamera wirft erneut die Frage nach den Führungsqualitäten von Angela Merkel auf; aus dem Mist von Helge Braun (Chef des Kanzleramts) stammt die Idee der sog. Osterruhe. Es spricht für den guten Menschen von Aachen, dass er sich bei „Markus Lanz“ im ZDF nicht zu Retourkutschen hinreißen ließ und sich ausdrücklich vor Angela Merkel stellte, die nach Einschätzung der Neuen Zürcher Zeitung „für die Unionsparteien längst zu einer Belastung im Wahlkampf geworden (ist)“ (NZZ, 25.03.21). Zwischen Ostern und Pfingsten, betonte Laschet noch einmal, fällt die Entscheidung, wer für die CDU als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf zieht. So viel wissen wir aber schon jetzt: es gab noch nie einen Kanzler von der CSU. Glück Auf!