Mask have!

Kreide auf Rinde (Hochland/Hiddensee)

Wieder eine Woche vergangen, wieder eine Woche im sog. Home Office. Die Zeit vergeht schnell und bleibt doch stehen, als würde es nicht mehr vorangehen. Die Stimmung trübt sich ein, der ifo-Geschäftsklimaindex ist im April auf einen historischen Tiefstand gefallen. Dabei gibt es doch Hoffnung. Viele Geschäfte durften wieder öffnen – wenn auch unter Auflagen. Wir müssen lernen, vor den Geschäften zu warten und die Abstandsregeln einzuhalten. Dass es bald eine Maskenpflicht beim Einkauf und im ÖPNV (Öffentlichen Personennahverkehr) gibt, findet weithin Zustimmung. Gestern habe ich mir eine schwarze Maske mit einem Brillenbügel besorgt und konnte damit schon heute einkaufen, ohne dass mir dauernd die Gläser beschlagen und ich im Dunst fast nichts mehr sehen kann. Wird das reichen?

Die Kanzlerin – derzeit so beliebt wie schon lange nicht mehr – spricht von „Öffnungsdiskussionsorgien“. Anders als ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz zaudert Angela Merkel – sie bremst, anstatt den Ton anzugeben. Immer mehr Menschen wird deutlich, dass mit Corona eine neue Zeit angebrochen ist. Geschäftsmodelle & Existenzen stehen von jetzt auf nun zur Disposition. So bleiben derzeit 98% der Flugzeuge am Boden, und es gibt plötzlich negative Ölpreise. Können Sportvereine ohne Zuschauereinnahmen bestehen? Kinos und Theater unter Einhaltung der Abstandsregeln, im besten Falle mit nur einem Viertel der Besucher? Sind Opern und Sinfoniekonzerte noch möglich? Was wird mit den vielen Festivals im Sommer? Was bleibt von der Gastronomie, der bislang jede Perspektive fehlt? Schon klagen die Städte über wegbrechende Steuereinnahmen und mahnen einen staatlichen Rettungsschirm an.

Der Frühling beginnt jetzt richtig, und es hat den Anschein, als würden in den Parks und auf den Plätzen die Abstandsregeln nicht gelten, als sei alles fast wieder wie früher. Man sollte eine Maskenpflicht einführen, sobald mehr als zwei Menschen draußen zusammenkommen, als Symbol dafür, dass uns die C-Krise noch lange begleiten wird. Mehr Lockerung ist nur mit mehr Disziplin möglich. Das Oktoberfest wurde heuer bereits abgesagt – nichts mehr mit Bussi Bussi. Dafür stehen die Chancen nicht schlecht, dass der neue Berliner Flughafen BER vor dem 31. Oktober eröffnet werden kann. Wird schon klappen ohne Flugverkehr.

Vorbei und vergessen

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Welch ein Glück: Hofmusik zu Ostern. © Gitti Grünkopf

Das Corona-Virus nivelliert – für alle gelten die Abstands- und Hygiene-Regeln, die Tage vergehen einer wie der andere. Es fehlen Abwechslungen & Anregungen. Vor fünf Wochen waren wir bei der letzten Premiere im „Chamäleon“; es kommt mir ewig lange her vor. Welch ein Glück in diesen immer gleichen Tagen zu Hause am Rechner, in Telefonkonferenzen, immer neuen Überlegungen & Planungen, dass am Ostersonntag in unserer Straße zu einer „Hofmusik“ eingeladen wurde. Pablo Barragan (Klarinette) und Yannick Raffalimanana (Keyboard) spielten eine herrliche Stunde für die im weiten Abstand lauschenden Besucher im Hof und das Publikum in den Fenstern. Deutlich wurde uns bewusst, was uns allen so sehr fehlt in C-Zeiten: Gemeinschaft, Nähe – und Kultur. Dass diese für die Politik nicht systemrelevant ist, haben die Lockerungen der Einschränkungen gestern deutlich gemacht: kein Lichtblick nirgends für Künstler*innen und Veranstalter.

Allenthalben hoffen die Menschen, dass der „Spuk“ bald vorbei ist. Und vergessen wie die Hongkong-Pandemie, die zwischen 1968 und 1970 weltweit 1 Million Opfer forderte; allein in Deutschland gab es in dieser Zeit eine sog. Übersterblichkeit von 40.000 Menschen. An die Schließung von Geschäften, Restaurants und Clubs, Produktionsstätten oder Schulen kann ich mich nicht erinnern; auch unsere etwas älteren Verwandten und Freund*innen können davon nicht berichten. Kritiker der Regierung finden in diesen Tagen jedenfalls nicht viel Gehör – „so diene auch die Corona-Krise dazu, die freiheitliche Grundordnung zu zersetzen, argumentiert (der italienische Philosoph) Agamben.“ (FAZ, 28.03.20). Selbst die KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung) meldet schon vorsichtig Zweifel an, ob es denn richtig gewesen sei, dass Covid 19 bisher so viele politische Entscheidungen beherrscht hat. Der Vorsitzende Andreas Gassen bringt es im Deutschlandfunk auf den Punkt: „Wenn Sie einen unbehandelten Herzinfarkt oder eine unbehandelte Krebserkrankung haben, dann können Sie davon ausgehen, dass die entsprechenden Patienten versterben. Haben Sie eine unbehandelte Covid-19-Erkrankung können Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Patienten daran nicht versterben, und wenn sie großes Glück haben nicht einmal ernsthaft erkranken.“

Den politischen Diskurs prägen derzeit Virologen wie Christian Drosten, die CDU mit der wieder präsenten Angela Merkel an der Spitze liegt bei 37%. Der medial überhitzten Stimmung im Lande könnte ein wenig Sachlichkeit jedenfalls nicht schaden, etwa der Blick auf ein Schweizer Portal. „Swiss Propaganda Research (SPR), founded in 2016, is an independent nonprofit research group investigating geopolitical propaganda in Swiss and international media. SPR is run by independent academics and receives no external funding.“ (About us) Auf der Seite kann man/frau etwa lesen: „Das Medianalter der Verstorbenen liegt in den meisten Ländern (inklusive Italien) bei über 80 Jahren und nur circa 1% der Verstorbenen hatten keine ernsthaften Vorerkrankungen. Das Sterbeprofil entspricht damit im Wesentlichen der normalen Sterblichkeit.“ Im vorletzten Jahr starben in Deutschland  954.874 Menschen. Zu Ostern habe ich eine Schutzmaske bekommen.

Gebt her Eure Daten

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Not kennt kein Gebot. Bei der Bewältigung der C-Krise sollten auch alle digitalen Möglichkeiten genutzt werden.

Im Streifenkalender in der Küche sind nur noch Geburtstage vermerkt, keine Verabredungen, keine Veranstaltungen. Heute ist Good Friday (Karfreitag), und immer mehr Menschen beginnen zu zweifeln. Inzwischen haben mehr Deutsche Angst vor einer wirtschaftlichen Depression als vor Corona; der Internationale Währungsfond befürchtet eine Weltwirtschaftskrise wie vor hundert Jahren. Müssen wir noch mehr Opfer bringen? Brauchen wir nicht bessere Daten? Keiner weiß, wie viele C-Infizierte es im Moment gibt; die Hälfte aller Ansteckungen erfolgt präsymptomatisch, d.h. der Infizierte weiß gar nicht, dass er erkrankt ist. Es soll Schätzungen geben, die von zwanzigmal mehr Infizierten ausgehen als den amtlich festgestellten 113.525 (Robert-Koch-Institut, 10.04.2020). Gerd Antes, Freiburger Statistik-Experte und Professor an der Medizinischen Universität Freiburg schlägt deshalb vor, regelmäßig einen „repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt auf Infektionen“ zu untersuchen (Der Spiegel).

In digitalen Zeiten mutet auch die analoge Arbeit der Gesundheitsämter seltsam anachronistisch an. Warum nicht dem Ethikrat einen Datenrat zur Seite stellen, der sicherstellt, dass der Zugriff auf Handy-Daten (Tracking) unter bestimmten Bedingungen in der C-Krise möglich und verpflichtend ist. Meine Persönlichkeitsrechte in Berlin sind ohnehin massiv eingeschränkt; wer die Abstandsregel nicht einhält, dem drohen Strafen bis zu 500 Euro. „Anstatt weltweite Monopole zu bekämpfen“, empörte sich die Magdeburger Volksstimme (01.04.20), „die alle Daten und jedes Geschäft an sich reißen, werden nur die Bürger mit Datenschutz gegängelt. Jetzt geht Datenschutz sogar vor Menschenschutz.“ Hätten wir bessere Daten über die Verbreitung des C-Virus, könnte man auch eine klare Exit-Strategie vorlegen und nicht bloß gebetsmühlenartig an die Geduld der Menschen appellieren. Die Zeit läuft – gegen uns.

Inzwischen breitet sich das Virus auch in der Dritten Welt aus. Wenn schon das Gesundheitssystem in New York an seine Grenzen kommt, kann man sich die Situation in Afrika oder Indien nicht schlimm genug vorstellen: dort fehlt es am Nötigsten. Triage, hörte ich gestern im Deutschlandfunk, findet in Ländern ohne Krankenversicherung direkt in der Familie statt – man bringt die Infizierten erst gar nicht in die Klinik, weil man die Behandlung nicht bezahlen kann. Auch die globale Dimension der C-Krise wird uns bald einholen. Seit Tagen geht mir ein Schlager von Jupp Schmitz und Kurt Feltz (Text) nicht mehr aus dem Kopf. „Wer soll das bezahlen, Wer hat das bestellt, Wer hat soviel Pinke-Pinke, Wer hat soviel Geld?“ Wir werden in eine Rezession ungeahnten Ausmaßes kommen. Der Lockdown wird zum Shockdown. Ausgang ungewiss.

Weitergehen

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Allein in der U-Bahn am Sonntagmorgen. © Karl Grünkopf

Ab heute kostet das grundlose Verlassen der eigenen Wohnung in Berlin zwischen 50 und 100 Euro. Am letzten Sonntag hatte ich einen guten Grund. Ich musste zu meinem Verlag nach Frankfurt, um eine ganz andere Verteilung von FRIZZ Das Magazin für Frankfurt & Vordertaunus zu organisieren. Weil die meisten Geschäfte & kulturellen Einrichtungen geschlossen sind, können wir dank eines Deals mit der Supermarktkette REWE dort auslegen; zudem verbreiten wir unseren kostenlosen Titel erstmals per Hausverteilung. Gespenstisch leer schon die U-Bahn-Station; die C-Gefahr auf der Fahrt nach Spandau ist gering – streckenweise sitze ich ganz allein im Wagen. Im ICE dann auch nur wenige Fahrgäste; bis Wolfsburg sind wir zu dritt in einem Großraumwagen. Deutschland im Corona-Modus.

Es ist erstaunlich, was alles von jetzt auf nun möglich ist in diesem Land, dessen Politiker *innen voll und ganz auf die Expertisen der Virologen vertrauen. „Alle sind glücklich über die seriösen Virologen“, wundern sich die Freunde von der taz. „Die Daten der Klimawissenschaften werden dagegen seit Jahrzehnten ignoriert, weil sie die Existenzberechtigung von Energiekonzernen, Agrar- und Autoindustrie und ihre profitablen Verbindungen zu Politik und Gesellschaft untergraben. Dabei wissen wir viel besser, was man gegen den Klimawandel zu tun hätte als gegen das Virus.“ (01.04.20) Tempo 130 auf Autobahnen war genauso wenig durchzusetzen wie etwa eine Steuer auf Kerosin in der gewerblichen Luftfahrt, um nur zwei beliebige Beispiele zu nennen. Dass wir in absehbarer Zeit, keine wirksamen Antibiotika mehr haben, schert auch niemanden. „Seit Jahren werden keine neuen Antibiotika mehr entwickelt und die Arzneimittelindustrie macht keinen Hehl daraus, dass ihr die Gewinnmargen zu dünn sind, um ihre Haltung zu ändern.“ (FAZ, 12.03.20)

Als ich diesen Blog vor anderthalb Jahren begann, waren wir auf unserer „American Journey“ natürlich auch in New York. Wir lieben diese Stadt, die sich mittlerweile zum Zentrum der Corona-Krise entwickelt – im Central-Park wurden Zelte für Patienten aufgeschlagen! Damals wohnten wir in einem winzigen 2-Zimmer-Appartment in Manhattan im dritten oder vierten Stock eines etwas heruntergekommenen Hauses. Eine Ausgangssperre dort mag ich mir nicht vorstellen. Noch dramatischer ist die Situation in Ost-Afrika, wo zur Corona-Krise noch die schlimmste Heuschrecken-Plage seit Menschengedenken kommt. In Kolumbien wurden die ersten Infektionen mit dem neuen Virus bei indigenen Völkern festgestellt, derweil Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro von einem „Grippchen“ spricht. Mir fehlen die Worte ob dieser Leugnung der Realität…