Zahlen bitte!

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Noch vor den superheißen Tagen spielte Angelique Kidjo mit ihrer Band ein großartiges Konzert in Berlin. Eine Wiederentdeckung!

Es geht Schlag auf Schlag. Geilenkirchen war mit 40,5 Grad nur einen Tag Spitzenreiter, tags drauf zog Lingen im Emsland mit 42,6 Grad vorbei. Niemals nie wurden in Deutschland höhere Temperaturen gemessen. Der Klimawandel ist längst da und für alle & jeden konkret erfahrbar. Neben tropischen Temperaturen erleben wir einen dramatischen Rückgang der Insekten – das Artensterben können wir also auch beobachten. Wir müssen alle unser Verhalten ändern, und zwar sofort. Mit Flugscham ist es nicht getan, wir müssen weniger fliegen & mehr dafür bezahlen. Für unsere Flüge nach Malle haben wir bei atmosfair zumindest 59 € für Klima-Projekte gespendet. Wir müssen davon ausgehen, dass die glücklose Umweltministerin Svenja Schulze das für die 1.740 Flüge ihrer Mitarbeiter zwischen Bonn und Berlin nicht getan hat. Pro Flug sind 10 Euro fällig, macht zusammen 17.400 €. Jede Politik ist auch Symbol-Politik. Diese Zahlung ist das Mindeste, was Frau Schulze tun muss. Peanuts gegen die drohenden 850.000 € Strafzahlung an die EU-Kommission pro Tag (!), weil Deutschland immer noch zu hohe Nitratwerte im Grundwasser aufweist.

Für diesen Rat rechne ich natürlich kein Berater-Honorar ab, auch nicht für den Vorschlag, per sofort Einwegflaschen aus Plastik zu verbieten, was Costa Rica längst getan hat! Der FAZ (25.07.19) zu Folge hat das Wort „Flugscham“ allerbeste Chancen, das Wort des Jahres zu werden. Finden wir alle super und fliegen mehr denn je, erst recht die Grünen-Klientel. „In Wirklichkeit“, kommentiert das Blatt, „wird indes eher über persönliche Konsequenzen für mehr Klimaschutz geredet als entsprechend gebucht. Die Anhänger der Grünen bilden da keine Ausnahme. Ausweislich der Erkenntnisse der Forschungsgruppe Wahlen sind sie sogar nach wie vor besonders häufig mit dem Flieger unterwegs.“ Wahn, Wahn, überall Wahn möchte man rufen. Jährlich passieren 2,5 Millionen LKW den Brenner. Lifestyle & Logistik gehören dringend auf den Prüfstand.

Per Rad also zur „Wassermusik“ auf der Terrasse der Kongresshalle in Berlin. Angelique Kidjo, deren Album „Ayé“ ich in früheren Jahren bald täglich hörte, gibt ein fulminantes Konzert mit ihrer famosen Band, bei sehr angenehmen Temperaturen. Sie widmet ihren Auftritt der Salsa-Queen Celia Cruz und den Talking Heads, deren Album „Remain in Light“ sie kongenial re-afrikanisiert hat. Eine Wiederentdeckung! 42,6 Grad schaffen wir in Frankfurt nicht, aber 41 sind ja auch nicht schlecht. Was kann man da Besseres unternehmen, als afrikanisch essen zu gehen. Wir treffen uns in einer anderen Welt: im „Kenkey House“ in Sachsenhausen. Erst gibt’s die Klöße aus fermentiertem Mais nicht, dann plötzlich doch wieder. Einen Beleg bekommen wir nicht. „Die Kasse ist gestohlen“, feixt einer an der Bar. Auch egal bei dere Hitz‘. Wir verlassen das Lokal um halb elf. Es sind immer noch 33 Grad.

Rochaden

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New Swing live im Jazzkeller. Das Jean-Philippe Bordier Quartett aus Paris mit dem Frankfurter Andreas Neubauer am Schlagzeug.

Nichts bleibt, wie es ist. Morgens informiere ich mich gerne live im Radio. 10 Minuten Pressestimmen im Dlf um 7.05h, um halb acht gibt’s eine Auswahl aus den Feuilletons in SWR2, oft im reizvollen Kontrast zu hr2 eine halbe Stunde später. Das wird sich bald ändern, denn die Kulturwelle des Hessischen Rundfunks wird zu einem Klassikradio – Durchhörbarkeit heißt die Devise. Keine Kulturpresse mehr, kein „Doppelkopf“, kein „Der Tag“, keine Buchvorstellungen und Bühnenkritiken. Ein Kahlschlag, ein Skandal sondergleichen, denn auch der Hessische Rundfunk hat einen Programmauftrag – dafür müssen alle und jeder den Rundfunkbeitrag bezahlen. Nur wofür? Ich kenne niemanden, der noch lineares Fernsehen guckt, das vom hr schon gar nicht. Es dümpelt mit einem Marktanteil von knapp 6 Prozent vor sich hin – Schlusslicht aller dritten Programme.

Was wird mit den Jazz-Sendungen in hr2? Davon war bislang nicht die Rede, scheint auch niemanden zu interessieren. Zum Glück haben wir in Frankfurt den „Jazzkeller“, den Eugen Hahn seit Jahrzehnten schmeißt; neuerdings gibt’s dort feine Cocktails, einen eigenen Kanal bei YouTube und Infos über Social Media. Wir erleben das Quartett des Gitarristen Jean-Philippe Bordier in der ungewöhnlichen Besetzung mit Orgel, Vibraphon und Schlagzeug. Drei Franzosen und ein Frankfurter Bub – das passt bestens. Die Band arbeitet schon einige Jahre zusammen, hat gerade ein neues Album in Paris aufgenommen und sprüht nach der Pause förmlich vor Spielfreude.

Das funzt ohne jedwede Rochade, wie sie Macron und Merkel trickreich beherrschen – und plötzlich Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin aus dem Hut zaubern. Die Kanzlerin sieht zwar aus wie eine „lame duck“, aber an ihrem 65. Geburtstag zeigte sie wieder ihre Führungsqualitäten. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer dient nun der Truppe und kann von Merkel lernen, dass siegen auch heißen kann, seine Meinung zu ändern, wenn es denn opportun ist. Vielleicht besinnt sie sich ja wieder darauf, dass sie schon einmal als Klimakanzlerin gehandelt wurde. Das sog. Klima-Kabinett brachte jedenfalls bis dato noch nicht viel zu Stande – und produziert um so mehr CO₂ . Das Magazin Focus wies darauf, dass Mitarbeiter des Umweltministeriums bis jetzt in diesem Jahr 1.740 Mal (!) zwischen Berlin und Bonn hin und her geflogen sind. Stoppen Sie diesen Wahnsinn sofort, Svenja Schulze! Machen Sie Ihren Job als Umwelt-Ministerin und retten erst einmal das Klima in Ihrem Amt. DankE!!!

Flygskam

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Gewimmel in der Caló. Copyright: ELV-Press International

So voll war die Halle C im Flughafen Tegel noch nie. Wir stehen in einer Doppelreihe, die sich erst ganz am Ende des Gebäudes umkehrt. Oha, das kann ja heiter & spannend werden. Erstaunlicherweise geht es dann rasch voran – ratzpatz sind wir unser Gepäck los. Die Maschine kann erst mit knapp einer Stunde Verspätung starten, denn wir bekommen im Luftraum über der Schweiz und Frankreich keine slots. Ob ein paar andere Reisende auch Flugscham empfinden? Der Klimawandel scheint ja in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein, die Grünen liegen in den Umfragen vorne. Diese Partei wählen und munter weiter fliegen, das passt eigentlich nicht zusammen.

Vertraut man der Süddeutschen Zeitung (01./02.06.2019), dann kam der Begriff „Flygskam“ 2016 in Schweden auf. Ich habe davon erst vor ein paar Wochen gehört und fliege das erste Mal mit Flugscham – sinnigerweise auf die deutsche Lieblingsinsel. Schnell mal auf dem Portal atmosfair ausrechnen lassen, wieviel COich auf meinem Hin- und Rückflug verbrauchen werde:  671 kg CO2, Ein Jahr Autofahren (Mittelklasse, 12.000 km) verbraucht zum Vergleich 2.000 kg CO2. Ich werde für meine Reise 16 € an atmosfair für Klimaprojekte spenden, aber dieser Ablasshandel fürs gute Gewissen  (DlF) täuscht darüber hinweg, dass wir zu viel & zu billig fliegen. In Tegel und Schönefeld wurden im ersten Halbjahr 2019 fast 12% mehr Fluggäste gezählt – mit und ohne Scham.

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Im Paradies ist keiner allein. Die Feuerquallen sind mit bloßem Auge besser zu erkennen als auf dem Agenturfoto. Copyright: ELV Press International

Der Fluch des Massentourismus hat auf Mallorca auch die letzten Geheimtipps kassiert – Google Maps sei Dank. Wir fahren abends zu einer der schönsten Buchten der Insel. Über die Caló des Moro heißt es in GEO Saison (Juni 2014): „Einheimische haben sämtliche Wegweiser abmontiert, um die Felsbucht mit Mini-Sandstrand unauffindbar zu machen.“ Vor drei Jahren war‘s schon voll dort, heuer war‘s schlimmer als im Kreuzberger Prinzenbad. Fluchtartig verlassen wir den sog. Geheimtipp und springen in „La Gruta“ ins Wasser. Aber auch in unserem Paradies sind wir nicht alleine. Tags drauf sehen wir mit bloßem Auge gut hundert Feuerquallen im Wasser. Baden: ein Problem! Wir schwimmen in der Cala Mondragó umme Ecke, nicht alleine, aber ohne Quallen. Wir kommen wieder und lassen uns wieder auf den modernen Ablasshandel ein. Zumindest das!

Volten

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Das gab es noch nie! Das Thermometer zeigt im Hof in der Sonne eine Temperatur von 47,8 Grad an. An einem solchen Tag geht man schwimmen oder plant eine Reise nach Indien. Wir machen beides und fahren zu unseren Freunden nach Neu-Zeessi, einem Vorort von Königs Wusterhausen. Am späten Nachmittag erst verlassen wir das Haus, ein warmer Mistral umfängt uns, im Auto wird es rasch angenehmer; wir erreichen entspannt unser Ziel. Ab auf die Räder und hinein in den Zeesener See – einen Somma ohne können wir uns schon gar nicht mehr vorstellen. Nach dem Bade werden wir noch kulinarisch verwöhnt, es gibt Mücken und anderes Getier, doch was sind diese Unbilden gegen den Ganges, in dem die Inder alles und jedes verrichten – und überleben. Ein Bad im heiligen Fluss werden wir uns verkneifen, aber wir machen einen Termin für einen Indien-Trip im übernächsten Jahr fest.

Zwei Tage später ist die Sahara-Hitze erst einmal vorbei. Dafür riechen wir das Feuer in Lübtheen, obwohl der ehemalige Truppenübungsplatz über 200 km entfernt ist; begünstigt hat den Großbrand die Trockenheit. Wer den weltweiten Klimawandel leugnet, handelt noch verantwortungsloser als wir alle, die wir auf Kosten der Zukunft ein komfortables Leben genießen. Pong hat mir Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima geschenkt; erzählt wird die Geschichte einer ganz besonderen Familie. Das Buch beeindruckt mich tief. „Ich denke“, so die sechzehnjährige Greta Thunberg, „wenn ich kein Asperger hätte, wäre das hier nicht möglich gewesen.“ Diese konsequente Klima-Aktivistin hat die „Fridays for Future“-Bewegung ins Leben gerufen. Die Uhr tickt. Noch gut 18 Jahre bleiben, um die Erhöhung des Erdklimas auf 2 Grad zu begrenzen – die Chancen liegen bei 5%!

Das ficht unsere Politiker nicht weiter an, vergessen ist Macrons Wort, dass es keinen Plan B gibt, falls die globale Erderwärmung nicht gestoppt wird. Die Erreichung der Klimaziele wird auf 2050 vertagt, und auch sonst haben die politischen Eliten schon wieder vergessen, warum sie bei der Europawahl abgewatscht wurden (ARD-DeutschlandTrend). Vor drei Tagen wusste die glücklose Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen noch nicht, dass sie jetzt an die Spitze der EU-Kommission segeln soll. Nahezu einstimmig fiel die Entscheidung für sie im EU-Ministerrat, nur Angela Merkel musste sich aus taktischen Gründen enthalten. „Die Zerstörung der CDU“ (Rezo) geht weiter, und Boris Johnson lacht sich über den Zustand der EU ins Fäustchen. Es ist zum Heulen!