Heuschrecken

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Keine Heuschrecken nirgends im Spreewald.

In den Spreewald können wir noch fahren, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Dort sind wir noch als Gast willkommen und nicht als Tourist verpönt. Wir nutzen ein Special und fahren mal wieder „Zur Bleiche“. Plüsch & Kitsch schrecken uns nicht, der sogenannte Wellness-Bereich ist prima, und es gibt dort immer noch das beste Frühstück von die ganze Welt. Freilich funktioniert das Geschäftsmodell nur noch, weil es fast ausschließlich Polinnen im Service gibt. Das weitläufige Gelände der „BLEICHE RESORT SPA“ – so die offizielle Schreibweise – liegt etwas außerhalb von Burg und fügt sich in die Landschaft. Eine Welt für sich wie die Clubs. Die Gäste haben dort alles, bleiben unter sich und fallen nicht wie Heuschrecken über Städte wie Berlin, Amsterdam oder Venedig her. Die Clubs verbrauchen zwar Land und Energie, aber sie zerstören zumindest keine bestehende Infrastruktur.

Die Konsequenzen des „Overtourism“ sind in keiner Stadt drastischer als in Venedig: dort müssen 50.000 Einwohner jährlich 30 Millionen Touristen ertragen. „Der Tourismus“, konstatiert Marco d’Eramo, „ist mittlerweile zur wichtigsten Industrie dieses neuen Jahrhunderts geworden.“ Nach der Lektüre seines Buches „Die Welt im Selfie. Eine Besichtigung des touristischen Zeitalters“ möchte ich am liebsten nie mehr verreisen. Erst recht nicht nach Venedig, und es hilft nicht sicheinzureden, im November wäre es in Venedig nicht so schlimm und eine Kreuzfahrt im Mittelmeer käme nie und nimmer in Frage. Sind wir unterwegs, sind wir auch Touristen; da können wir die Reisegruppen und Selfie-Maniacs noch so verachten.

In Widersprüchen sind wir gewohnt zu leben, mit Widerstand werden wir Touristen künftig rechnen müssen. Das ist wohl die einzige Chance, seine Lebenswelt zu erhalten. „Ureinwohner töten Missionar mit Pfeilen“, lese ich auf der letzten Seite im Berliner Tagesspiegel vom 23.11.18. Er gehört zum Stamm der Sentinelesen im Indischen Ozean. Der BBC zu Folge seien sie vor 55.000 Jahren (!) aus Afrika gekommen und konnten „über all die Jahrtausende ihre Lebensweise“ bewahren. Hoffentlich bleiben sie jetzt auch weiter von kirchlichen und weltlichen Missionaren verschont. „Im Jahr 1996“, so steht in der Zeitung geschrieben, „hat die (indische) Regierung Kontakte mit den Sentinelesen offiziell verboten. Die indische Marine überwacht die Schutzzone.“ Gut so!

Ping

Spielkind Meese!

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Liebe im Niemandsland des Kunstbengels.

Die Pinakothek der Moderne in München zeigt eine kleine Werkschau Die Irrfahrten des Meese, vom Künstler selbst nach dem Odysseus-Motiv betitelt.  Wie bei Odysseus soll auch bei Meese die Reise nachhause führen, dem Ziel aller K.U.N.S.T – in dieser Meese-Schreibweise die radikalisierte Form von Kunst als System, als totalste Zukunft, Gesamtkunstwerk,Chefsache. Dieses Zuhause spiegelt im Grunde Vergangenheit, ist ein Kinder-Spielland, jenseits von Ideologie, Politik, Religion, jenseits von allem „Falsch“ der Erwachsenenwelt. In ihm leben die Kindheitsmythen weiter, die Mumins, Kaptain Bligh, Dr. No, Parsifal, Odysseus, Graf von Monte Christo, Die 3 Fragezeichen und vieles Heterogene mehr, beaufsichtigt von seiner leibhaftigen Mutter, die immer noch über dieses Spielland und Spielkind wacht. Und da Meese dieses K.U.N.S.T.land als totalste Freiheitsetzt, kann er in diesem Kontext tun und lassen was ihm gefällt. Meese argumentiert nicht, er behauptet einfach, seine Redeweise ist durch und durch apodiktisch. Seine Sätze in dem kleinen Katalog zur Münchner Ausstellung lauten beispielhaft Kunst ist nährendesund dann wahlweise Kunstland, Erzland, Atlantis, Traumland, Niemandsland, Muminlandusw., immer garniert mit Ausrufezeichen. Der Kunstbengel, so der Titel eines Selbstporträts, erlaubt sich dann auch jeden infantilen Unsinn wie etwa Die Unterhosen-Schlüpferrevolution ist eine Basisrevolution! Unterhosen und Schlüpfer sind Rohstoffe der Kunst! Unterhosen und Schlüpfer sind keinerleiSpekulation! Der Erzevolutionsschritt ‚Kunst’ tut sich!, so nachzulesen im Glossar des bereits zitierten Münchner Ausstellungsheftes. Dieses Spielkind Meese will natürlich – wie alle Kinder – Aufmerksamkeit  und greift dafür auf die – nicht mehr sonderlich originelle, aber immer noch wirkmächtige – NS-Masche zurück. Dazu gehören sein seit der Documenta 2012 notorisch gewordener Hitler-Gruß, seine Website in völkischer Grafik, seine ganze „Erz“terminologie und die immer wieder in seinen Bildern verstreuten Eisernen- und Hakenkreuze. Natürlich ist Meese kein Faschist, natürlich darf Kunst das alles, die Frage ist nur, ob das einerseits nicht als ästhetisch-politische Provokation längst veraltet ist, so hängen etwa nur ein Saal weiter in München zwei Werke von Anselm Kiefer, ursprünglich aus dem Jahre 1969 (!), sich selbst mit Hitlergruß zeigend. Was damals bei Kiefer noch ein riskanter Versuch war, sich hinein zu versetzen in diese Geste der totalen Unterwerfung, den Schrecken an sich selbst und in der Reaktion der Umwelt zu fühlen, und einen echten Kunstskandal auslöste, ist bei Meese nur noch Showelement. Andererseits ist dieser Umgang mit den Nazisymbolen gerade heutzutage leichtfertig zu nennen, selbst wenn man wie Meese etwas größenwahnsinnig behauptet, diese durch sein Tun erst zu dekontaminieren. Auch wenn für den Künstler nur die Kunstwelt zählt, auch wenn er diese als die einzig wirkliche definiert, so lebt er doch in einer politisch realen Welt, ist er gesellschaftlich vernetzt, sollte sich hüten vor Beifall von der falschen Seite und gerade in einer Zeit des wieder erstarkenden Rechtsnationalismus nicht beitragen zu einer schleichenden ikonografischen Akzeptanz faschistischer Symbole und Gesten. Es sei denn der Künstler verstünde sich eben wie Meese als geschichtsvergessenes Spielkind, dem unterschiedslos alles zum Spielzeug werden kann. Und so gleicht die Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne auch einem großen, hell erleuchteten Meese-Spielzimmer mit einem überdimensionalen Spielplan auf dem Boden. Alles grell, bunt, durcheinander, von der Barbie-Puppe bis zum Gralsritter, von Cowboys bis zu Riesenkraken. Alles schön und gut, aber was gehen uns die Privatmythen und Obsessionen eines ebenso genialischen wie größenwahnsinnigen Exzentrikers an? Ein dilettantisch gemaltes, spätpubertäres und postdadaistisches l’art pour l’art?

Pong

Die Irrfahrten des Meese. Noch bis 3. März 2019, Pinakothek der Moderne, MünchenKatalog zur Ausstellung hrsg. von Swantje Grundler und Bernhard Schwenk bei Walter König

 

 

Vielfalt

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Begegnung im Theaterstübchen: Arthur Brown trifft David Murray.

Arthur Brown, David Murray, Gospelchor Open Arms. Solch ein abenteuerliches Programm macht hierzulande nur einer: Markus Knierim vom Theaterstübchen in Kassel. Zu Recht wurde er für seine Arbeit zum zweiten Mal in Folge mit dem „Applaus“ in der höchsten Kategorie ausgezeichnet und bekam 40.000 € von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Monika Grütters. Mit dieser ganz wichtigen Auszeichnung wird die Programmplanung unabhängiger Spielstätten unterstützt – und das Theaterstübchen steht für Vielfalt wie kein anderer mir bekannter Club in Deutschland. Mit seinen populären Angeboten und natürlich mit der Disko finanziert der unermüdliche Macher Konzerte, bei denen er drauflegen muss. Aber trotzdem holt er David Murray nach Kassel. Das Publikum ist vom Quartett des Tenorsaxophonisten begeistert, zumal die klassische Formation noch um den jungen Sänger & Spoken Poet Saul Williams erweitert ist. Unter den Besuchern entdecke ich einen Mann mit Hut, der aus dem Silbersee heraussticht: Arthur Brown. Am Vortag hat er die Hütte mit seiner „Fire“-Tour gerockt, jetzt will er Jazz erleben und plauscht später angeregt  mit David Murray. Das gibt’s nur im Theaterstübchen.

Tags drauf beim Gospelchor ist der Laden auch wieder ausverkauft, und Markus berichtet mir vom Vorverkauf für den 11. Jazzfrühling im März 2019: von 900 Tix für das Konzert des Moka Efti Orchestras im Staatstheater sind schon 700 verkauft. Wow! Aber der Auftritt der Band aus der Serie „Babylon Berlin“ ist nur eines von 16 Konzerten beim Jazzfrühling. Was Wunder, dass Fans mittlerweile aus Köln und Stuttgart zum Theaterstübchen pilgern. Schaut’s unbedingt auf die Seite dieses Clubs, wenn Ihr in der Mitte Deutschlands vorbeikommt – http://www.theaterstuebchen.de. Vielfalt ist dort Programm und vielleicht applaudiert dort ja auch mal die umtriebige Monika Grütters.

Vielfalt gibt es noch immer im Schillerkiez im Berliner Bezirk Neukölln. Bei unserem letzten Besuch im „Sowieso“ – hier gibt’s immer frischen Jazz zu entdecken – nehme ich einen Flyer mit. Der Kiez-Kneipe „Syndikat“ wurde nach 33 Jahren gekündigt. Die Macher fragen zu recht und generell: „Wer entscheidet, wer in unserem Kiez wohnt, arbeitet und lebt? Wer entscheidet, wie unser Kiez aussehen soll und welche Geschäfte dort sein sollen?“ Im Kleinen lässt sich hier studieren, was im Großen in allen Städten passiert: mit der sog. Gentrifizierung geht die Vielfalt verloren. Schöne, neue, leere Welt. Wer schon am Berliner Hauptbahnhof ausgestiegen ist, weiß, was da auf uns zukommt. Das Ende der alten, europäischen Stadt.

Ping

Merz und die Mitte

„Nur nachts wird gestohlen. Am Tag wird genommen.“

(Sprichwort, das Herta Müller zitierte, in ihrer Dankesrede für die Verleihung des Brücke-Berlin-Preises)

 

Nur keine Neid-Debatte, das liest man immer wieder im Kontext der Diskussion über Vermögen und Verdienst des Friedrich Merz. Das scheint mir jedoch der falsche Ansatz. Es geht hier in erster Linie nicht um Neid, sondern um Fragen der moralischen Integrität. Politiker sollten eben nicht die Interessen der Oberschicht und der Finanzindustrie vertreten, sondern jene des Normalbürgers und des Allgemeinwohls. Und hier ist eine generelle Skepsis durchaus nachvollziehbar, was Motivation und Interessenlage eines Politikers betrifft, der bis vor kurzem die Interessen eines global operierenden Finanzkonzerns vertrat, welcher das Umgehen von nationalen Steuervorschriften und Ausnutzen von Gesetzeslücken zu seinem Geschäftsmodell zugunsten seiner vermögenden Klientel gemacht hat. Dabei ist es dem global operierenden Konzern selbstredend gleichgültig, wenn Staaten – und das bedeutet: den jeweiligen Steuerzahlern – damit Milliardenbeträge vorenthalten oder diese gar nach allen Regeln der Kunst fiktiver Käufe und Verkäufe betrogen werden. Dem Bürger und Wähler jedoch kann dieses verständlicherweise nicht egal sein, auch steht er – nachvollziehbar – dem Argument skeptisch gegenüber, finanzielle Unabhängigkeit immunisiere gleichsam gegen Korrumpierbarkeit und befähige nachgerade zu moralisch uneigennützigem Handeln. Eher scheint es doch so, dass große Vermögen oder Einkommen eine besondere Gefahr darstellen, mit den Gesetzen in Konflikt zu geraten. Zu groß ist die Gier nach immer noch mehr, zu groß das jeweilige Ego, das glaubt, über den Regeln eines gesellschaftlichen Miteinanders zu stehen, jüngstes Beispiel der soeben inhaftierte Renault-Nissan Chef Ghosn, der es offenbar nicht einsehen wollte, sein Jahreseinkommen in Höhe von vorsichtig geschätzten 17 Millionen € in voller Höhe zu versteuern. Auch haben sich Milliardäre in der Politik bisher nicht gerade als Segen für ihr Land, besser gesagt, für die Mehrheit der dort arbeitenden Bevölkerung erwiesen. Berlusconi hat nicht nur sich selbst reicher und den Durchschnittsitaliener ärmer gemacht, sondern gleich das ganze Land ruiniert. Und auch ein Trump gerät mit seiner Politik der Steuergeschenke für Unternehmen, also Besitzer bzw. Aktionäre, sowie der unilateralen Zölle nicht gerade in Verdacht, ein besonderes Interesse am Wohlergehen des Normalverdieners in den USA zu haben, so sehr er dies auch in Wahlkampfauftritten behaupten mag. Natürlich folgt aus all dem nicht zwangsläufig, dass ein Friedrich Merz nicht geeignet sei für ein hohes Parteiamt oder die Kanzlerschaft. Aber es macht doch eine Skepsis plausibel, die nichts mit Neid zu tun hat. Wenn Merz sich nun selbst mit seinem jährlichen Millioneneinkommen, mit seinen Flugzeugen und Häusern zur deutschen oberen Mittelschicht rechnet, dann ist man doch perplex: entweder hat er keine Ahnung von der deutschen Vermögens- und Einkommenspyramide, peinlich für einen Bewerber um den CDU-Parteivorsitz, oder aber er scheut es aus Gründen der Opportunität, sich zur obersten Oberschicht zu bekennen, was in Anbetracht der Faktenlage dann eine Dummheit wäre, auch das keine Referenz. Vielleicht aber hat er auch nur Mittelschicht mit Mittelstand verwechselt: die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, die Lobbygroup mittelständischer Unternehmen von 1 bis 50 Millionen € Jahresumsatz,  hat soeben Friedrich Merz offiziell ihre Unterstützung im Kampf um den Parteivorsitz zugesagt. Ob das den Normalverdiener zuversichtlich stimmen kann?

Pong

Horst & Markus

Neuerdings gehen die Uhren in Bayern anders. Wurden früher nach desaströsen Wahlniederlagen die Ministerpräsidenten zurück in die Berge oder an die Seen geschickt, so wurde soeben Markus Söder mit dem historisch schlechtesten CSU-Wahlergebnis erneut und unumstritten als Ministerpräsident vereidigt. Dass er dabei mit der Schwurhand Probleme hatte, unentschieden zwischen Victory-Zeichen und Winkehand, wollen wir mal nicht als Omen werten.  Und in Kürze wird er – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche – auch als Parteivorsitzender Horst Seehofer beerben. Wie konnte es dazu kommen? Die letzten 12 Monate vor der Bayernwahl bemühte sich Seehofer nach Kräften – und der Mann hat Kraft – seinen Parteifreund Markus Söder zu verhindern, die Wahl zu versauen (wie man in Bayern so sagt). Dabei hat er es aber in Berlin mit seinen Streitereien und Rechthabereien so übertrieben, dass er gar nicht bemerkte, wie er sich selbst die Grube schaufelte, in die er dann hineinfalle sollte. Monate lang beherrschte Seehofer die Schlagzeilen, zuerst mit seinem Merkel-Bashing, mit seinen immer unverständlicheren und rechtspopulistischeren Asylvorschlägen, dann mit seinem Festhalten an einem unhaltbar gewordenen Verfassungsschutzpräsidenten – unterm Strich alles Negativ-Schlagzeilen. Das dahinter stehende Kalkül ging jedoch nur zum Teil auf: ja, die CSU verlor massiv an Stimmen, aber nein, Markus Söder schadete das eben nicht, weil der Sündenbock sich ja quasi selbst auf den Richtblock legte. Noch nie hatte die CSU so kurz nach einer Wahlniederlage den vermeintlich Allein-Schuldigen identifiziert. Da spielte es auch keine Rolle mehr, dass Markus Söder in Bayern alles andere als populär war, weder sein Kreuzerlass für sämtliche staatlichen Institutionen, noch seine Bayerische Grenzpolizei, noch gar sein Bayerisches Raumfahrtprogramm hatten ihm im Vorfeld der Wahl akzeptable Zustimmungswerte verschafft. Ironie der Geschichte: ohne Seehofers Krawallkurs in Berlin wäre Markus Söder heute wahrscheinlich kein Ministerpräsident mehr und auch kein designierter Parteivorsitzender. Der gute bayerische Brauch will es, dass man seinem Retter aus höchster Not in der Kirche eine Kerze anzündet. Also Markus, auf nach Altötting, dem Horst ein Licht setzen.

Pong

Bibi und die Bibel

Bibi, damit assoziieren wir Eltern die – nervtötende – „Hex,Hex“-Hörspielserie Bibi Blocksberg, inzwischen auf 126 Folgen angewachsen. Jenseits der Kinderzimmer, vor aller Augen der Welt wird eine reale Bibi, Christin und fünffache Mutter aus Pakistan wegen angeblicher Gotteslästerung Mohammeds denunziert und über fünf Jahre in Einzelhaft genommen bis dann vom höchsten Gericht das Urteil „unschuldig aus Mangel an Beweisen“ ergeht. Während dieser fünf Jahre wurden ein Politiker und ein Anwalt, die sich für Asia Bibi eingesetzt hatten, ermordet. Jetzt, nach Bibis Freilassung tobt der islamistische Mob auf Pakistans Straßen und fordert lautstark die Todesstrafe für diese „Hexe“. „Hängt sie, hängt sie“ skandiert der rechtgläubige Moslem und „hängt die Richter gleich mit“. Und das ist tödlicher Ernst. Derzeit ist Asia-Bibi zwar frei gesprochen, aber längst nicht in Sicherheit, da es in Pakistan keine Institution gibt, die sie schützen könnte oder wollte, obwohl Pakistan – geradezu obszön – Mitglied des UN-Menschenrechtsrates ist. Wo aber bleibt die weltweite christliche Solidarität? Eine Christin und ihre Familie wird einzig und allein wegen ihres Glaubens verhaftet und mit dem Tod bedroht – und die Kirche? Wo bleibt das spontane Angebot auf Kirchenasyl? Wieso hört man in dieser Sache so wenig von den doch sonst nicht gerade maulfaulen Kirchenlenkern Marx oder Bedford-Strohm. Wieso verhält sich selbst Papst Franziskus so merkwürdig zurückhaltend in dieser Affaire, sonst doch immer demonstrativ auf Seiten der Armen und der Gerechtigkeit? Kann es sein, dass der Islamismus mit seinem Drohpotential bereits die Köpfe beherrscht?  Dass der Tod einer pakistanischen Landarbeiterin implizit inkauf genommen wurde und wird, um sich selbst nicht zum Ziel eines islamistischen Anschlags zu machen? Vorauseilender Gehorsam also gewissermaßen? Wir kennen dieses Muster bereits spätestens seit den Mohammed-Karikaturen. Freilich wäre dies eine Bankrott-Erklärung christlicher Moral.

Pong

 

 

Der verbrannte Panther

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Kalifornien steht in Flammen. Bisher sind mindestens 50 Menschen in den Feuern umgekommen, bei lebendigem Leibe verbrannt, über 100 werden noch vermisst. Und was twittert der Klimawandelleugner Trump dazu? Schlechtes Forst- und Feuerwehrmanagement. Abgesehen von der Herzlosigkeit – Kalifornien wird von Demokraten regiert, selber Schuld –  kommt einem diese Argumentation bekannt vor. Symptome bekämpfen statt Ursachen. Hinter jeden Baum einen Feuerwehrmann mit Schlauch im Anschlag postieren. So wie Trump einmal mehr nach dem jüngsten sogenannten Mass-Shooting in einer Synagoge in Pittsburgh bewaffnete Sicherheitskräfte in den Kirchen forderte anstatt die geltenden Waffengesetze zu verschärfen. Und wie weit reicht das Mitgefühl hierzulande? Bild berichtet tagelang über Gottschalks abgebrannte Villa und die seiner nicht minder prominenten Nachbarn. Nicht zu vergessen: die von Thea Gottschalk geretteten Katzen. Ach ja, eines noch: über Gottschalks Frühstückstisch hing das – nunmehr verbrannte – Rilke-Gedicht „Der Panther“ im handschriftlichen Original. Das wirft die Frage auf, ob es legitim ist, dass Kulturdenkmäler als Trophäen die Wände reicher Privatleute schmücken, der Öffentlichkeit entzogen und hohen Verlustrisiken ausgesetzt.

Pong

Berliner

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Die Berliner sind da. Eine lange Schlange steht vor der Abendkasse – alle wollen die Berliner Philharmoniker in der Alten Oper erleben.

Kaum haben wir die „Causa Merz“ von Martin Bergelt am Sonntag online gestellt, da meldet sich auch schon die Staatsanwaltschaft bei Blackrock an. Wegen dubioser Geschäfte wird die Deutschland-Zentrale durchsucht. Nun liegen diese vor der Zeit von Friedrich Merz als Aufsichtsratsvorsitzender der Fondsgesellschaft, aber etwas bleibt immer hängen, und es stellt sich die Frage, ob diese Koinzidenz wirklich Zufall ist. Jedenfalls steht Blackrock als Synonym für den internationalen Finanzkapitalismus, mit dem eine C-Partei eigentlich nichts am Hut haben sollte. Falls Merz im Dezember Parteivorsitzender der CDU werden sollte, werden die Zeiten für die Koalition der Verlierer in Berlin nicht leichter.

Interessierte schauen im Herbst aber auch gerne auf das Berliner JazzFest, das immer noch heller strahlt als die vielen anderen Festivals hierzulande. „Now This Means War“ heißt  der Titel des Programmheftes 2018. Erdacht hat ihn Nadin Deventer, die neue Leiterin des JazzFest Berlin und erste Frau in dieser Funktion. Doch vor der Kür steht die Pflicht. Ehe es losgeht im „Haus of Jazz“ werden die Zuhörer mit einem (zu) langen Vortrag belehrt, garniert mit Verschwörungstheorien wie der, dass der legendäre Multiinstrumentalist Eric Dolphy 1964 in Berlin aus rassistischen Gründen im Krankenhaus nicht richtig behandelt wurde und starb. Auch die Konzerte mit einem explizit politischen Impetus, den der Jazz als autonome Kunst nie hatte, überzeugen allesamt nicht – Kopfmusik vom Blatt gespielt. Die Idee eines „Haus of Jazz“, also die Bespielung des ganzen Hauses der Berliner Festspiele, geht hingegen voll und ganz auf. Überall wird gejazzt, besonders spannend auf der Unterbühne. Dort ist die Berliner Formation KIM Collective am Werke. Und es gibt durchaus weitere Entdeckungen beim JazzFest. Die junge Sängerin Jazzmeia Horn beeindruckt vor allem in kleiner Besetzung, die hoch gehandelte Jaimie Branch fällt mehr als Typ denn als Trompeterin auf, Roscoe Mitchell rettet die Ehre des Art Ensemble of Chicago mit einem fulminanten Solo auf dem Sopransax. Der Höhepunkt für mich war der Auftritt des Pianisten Jason Moran,  der mit seinen Harlem Hellfighters an den längst  vergessenen Musiker James Reese Europe erinnert. Den Tiefpunkt setzte das Geklimper von Bill Frisell zum Abschluss des Festivals, am „Melancholic Sunday“. Da war der „Krieg“ längst vorbei.

Irre ich mich oder habe ich am Montag vor der Alten Oper Frankfurt mehr junge Leute gesehen als beim Fest des Jazz? An der Abendkasse steht eine lange Schlange – sie alle wollen die Berliner Philharmoniker erleben, die unter der Leitung von Gustavo Dudamel insbesondere bei Dmitri Schostakowitschs Sinfonie Nr. 5 beeindrucken. Rauschender Applaus. Die Berliner dürfen wieder kommen. Bitte ganz bald!

Die Causa Merz

Bei allem Medien-Hype um Merz: ich kann mir nicht vorstellen, dass die CDU dieses Wagnis eingehen wird. Black Rock, das klingt ja schön, schwarzer Fels (in der Brandung), dahinter aber verbergen sich unzählige moralisch anfechtbare Finanzgeschäfte, die einen Parteivorsitzenden Merz schwer in die Bredouille bringen können. Da sind zum Beispiel die betrügerischen CUM EX Geschäfte in Milliardenhöhe zu Lasten der deutschen Steuerzahler. Es wäre doch eine hübsche Pointe, wenn der CDU Parteivorsitzende daran mitgewirkt oder auch nur davon gewusst hätte. Wetten, dass ein journalistisches Recherchenetzwerk bereits an der Arbeit ist? Wetten auch, dass dieses dann eventuell belastendes Material so lange geheim hielte bis dessen Veröffentlichung ein echter Coup wäre? Also bis nach der Wahl des Parteivorsitzenden? Ein Cheflobbyist der Finanzindustrie, der übrigens gegen die Veröffentlichungspflicht von Nebeneinkünften der Abgeordneten beim Verfassungsgericht geklagt hatte, als künftiger Kanzlerkandidat? Dazu fehlt mit jetzt doch die Phantasie.
Was sagt uns dies aber über die CDU, dass eine solch riskante Personalie überhaupt solche Furore machen kann? Hier kommt – wie derzeit überall auf der Welt – die unselige Sehnsucht nach dem starken Mann zum Ausdruck (USA, Brasilien usw.) In diesem speziellen CDU-Fall auch die Sehnsucht nach dem Mann – nach den Jahren einer zusehends als schwach und zaudernd wahrgenommenen Frau. Noch dazu ein Mann, der jetzt scheinbar Rache an der Frau nehmen kann, die ihn einst politisch kalt stellte. Ein Mann, der im Gegensatz zur Frau in den letzten 14 Jahren nicht gealtert zu sein scheint, der so wirkt, als könne man eine Reset-Taste drücken und dort weiter machen, wo man einst aufhörte. Also vor dem die Gesellschaft spaltenden Asylproblem und vor der großen Finanzkrise. Zurück in Zeiten als CDU und SPD noch zusammen 70% der Wählerstimmen gewannen, tatsächlich Volksparteien waren.
Diese rückwärts gewandte Sehnsucht nach Reduktion von Komplexität ist so nachvollziehbar wie gefährlich. Da die Vergangenheit nicht wiederherstellbar ist, auch nicht von einem scheinbar verjüngt Wiederauferstandenem, wird das Heil in radikal einfachen Lösungen gesucht, wie Deutschland den Deutschen, America first usw. Dass solche Parolen den realen Problemen nicht im entferntesten gerecht werden, schmälert nicht deren Popularität, setzt aber einen Überbietungswettbewerb in Gang, in dessen Verlauf aus Parolen Taten werden. Nicht nur in den USA kann man aktuell studieren wie so etwas funktioniert, sondern leider auch hierzulande, Stichwort Chemnitz.
Sollte trotz allen Risikos Friedrich Merz dennoch zum CDU Vorsitzenden gewählt werden, dann befürchte ich eine Verschärfung des politischen Klimas gleichsam zwangsläufig aus Enttäuschung über das ausbleibende Heil. Das können wir im Ernst nicht wollen. Ich setze daher auf Kramp-Karrenbauer oder auch auf Armin Laschet, auch wenn beide vergleichsweise langweilig erscheinen, aber Abenteuer und Spannung sind ästhetische Kategorien fürs Kino und nicht für das Wohlergehen unseres Landes.
Martin Bergelt

Die Entscheidung

Notartermin. Es geht um eine Beglaubigung, und wir kommen natürlich auf den Ausgang der Wahl in Hessen zu sprechen. Ein Mann in Notarausbildung – er stammt aus der Türkei – kommt hinzu und mischt sich ins Gespräch ein. Wie der Staatsrundfunk berichtet habe, wirft er ein. Wir trauen unseren Ohren nicht, wie selbstverständlich ein Rechtsanwalt solchen Unfug erzählt. Es kommt noch toller: die Medien in der Türkei seien hingegen unabhängig. Wir geben natürlich Contra und klären den rechten Praktikanten auf über den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk hierzulande. Er rudert zurück und meint nun, die Programme seien alle gleich und langweilig. Da mag er recht haben, aber die Qualität des Angebots rechtfertigt keine falschen Aussagen.

Es ist an uns zu widersprechen, es ist unsere Entscheidung, dass wir zu unserer Meinung stehen und uns nicht einschüchtern lassen. Das hat der rechte Pöbel in München versucht: der Agentur Martin & Stephan – sie haben die erfolgreiche Kampagne der Grünen für die Landtagswahl in Bayern konzipiert – wurden rechtsradikale Schriften geschickt und ein Schweinskopf vor die Tür gelegt. Die SZ berichtete im Lokalteil ausführlich, und David Stephan, einer der Inhaber der Agentur, nahm im Interview des Berliner Inforadios deutlich Stellung zu den beiden Vorfällen; hier das Gespräch zum Nachhören:

Ein Hoch auf die unabhängige Presse und den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk hierzulande!

Und die Wahlen in Hessen? 70% der Bewohner sind mit ihrem Leben dort zufrieden. Trotzdem wurde die GroKo abgestraft, obwohl die gar nicht zur Wahl stand. Man sollte unbedingt die Wahlen im Bund und in den Ländern auf einen Termin legen. Die Wahlbeteiligung wäre höher und es ginge an diesem Tag tatsächlich um Länderpolitik. Natürlich konnte das hessische Ergebnis nicht ohne Folgen bleiben: die Kanzlerin stellt sich im Dezember nicht mehr zur Wahl um den Parteivorsitz der CDU. Ihr alter Rivale Friedrich Merz hat seine Ambitionen angemeldet und wird sogleich in den Medien mit Heilserwartungen überhäuft. Er würde den konservativen Markenkern der Partei schärfen, die AfD in Schach halten und gleichzeitig der SPD zu mehr Profil verhelfen. Darf’s noch ein bisschen mehr sein? Im März wissen wir mehr.