Per Schiff zur Show

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Kopf runter zur Doppelgänger-Show. © Rolf Hiller

Abfahrt zu einer Überraschungstour der ganz besonderen Art. Wir gehen an der Schlossbrücke Charlottenburg  an Bord und fahren mit dem voll besetzten Ausflugsdampfer auf der Spree durch das alte und neue Berlin, sehen großartige Gründerzeitgebäude, die monotone Schießscharten-Architektur am Hauptbahnhof, das spektakuläre Kanzleramt, die Museumsinsel, das Humboldt-Forum aus Beton mit der angepappten Fassade und die einfallslosen Funktionsbauten am sog. Mercedes-Benz-Platz. Alles so schön clean hier, wa! 30 km lang ist unsere Reise, wir passieren 70 Brücken und zwei Schleusen und werden mit jovialen Hinweisen & Sprüchen unterhalten. Mehrmals werden die Gäste aufgefordert, unbedingt sitzen zu bleiben – so knapp geht’s unter den Brücken hindurch. Am Ende unserer Passage muss noch einmal die Kapitänskabine abgesenkt werden, sonst wären wir an einer Brücke hängengeblieben.

Weil unser Pott auf dem engen Neuköllner Schifffahrtskanal nicht drehen kann, erreichen wir die Endstation im Rückwärtsgang: das Hotel Estrel. Wow, da wollte ich schon immer mal hin! Mit 1.125 Zimmern Deutschlands größtes Haus, eine riesige Anlage mit einem Veranstaltungsraum für über 5.000 Besucher und einem eigenen Show-Programm.  Gnocchis & Bier zur Stärkung und schon sitzen wir in der berühmten Doppelgänger-Show mit den angeblich besten Doubles der Welt. Rod Stewart 2.0 macht seine Sache ordentlich, Madonna taugt besser zur Kirmes, aber die Blues Brothers sind wirklich spitze; das Publikum bekommt die Hits und klatscht zufrieden.

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Erfolg in Las Vegas: Brain-Man Harry Keaton verblüfft in der Show „Fool Us“ nicht bloß die Moderatorin Alyson Hannigan. © CW Television

Normalerweise sind die Ansagen der Show in die professionelle Video-Collage integriert; die Band und die Gogo-Girls sind natürlich echt wie die Doubles. Einmal hat dort der Magier Harry Keaton moderiert, der kürzlich in Las Vegas für einen spektakulären Trick ausgezeichnet wurde, den die Hohepriester der Zauberei Penn & Teller in ihrer TV-Show „Fool Us“ vergeben – bitte unbedingt anschauen! Ich treffe ihn in seiner  magischen Halle in einem Offenbacher Hinterhof. Der Bursche hat’s einfach drauf und verblüfft mich ein ums andere Mal, obwohl ich doch unmittelbar neben ihm sitze. Harry zeigt mir das Buch „Pi to 100.000 Decimal Places“ Ich solle ihm ein besonderes Datum nennen. Kein Problem: 26.11.. Der Magier scheint die Ziffernfolge zu speichern, bittet mich, die Seite 185 aufzuschlagen, und weist mich auf die zweite Zahl in der sechsten Zeile hin: eine 2. Es folgen 6 und 11. Harry kann mir sämtliche Zahlen bis ans Ende der Seite richtig nennen. Ich falle vom Stuhl vor Verblüffung und werde mir unbedingt seine Show „The Brain“ anschauen, mit der er im nächsten Jahr auf Tour gehen will. Wie geht dem bloß, Brain-Main?

Clara 200

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Begeisterter Applaus: Am 200. Geburtstag von Clara Schumann geben Johanna Knauth und Thorsten Kaledwei ein wunderschönes Konzert. Im Hintergrund das Gemälde „Im Garten des Lepus“ von Torsten Schlüter. © Gitti Grünkopf

Was für ein Glück! „Secret Love. Lieder und Klaviermusik zum 200. Geburtstag von Clara Schumann“ haben die Sopranistin Johanna Knauth und Thorsten Kaldewei (Klavier) ihr Programm überschrieben. Just am Geburtstag findet eine Aufführung bei einem Hauskonzert statt. Alle Gäste kommen in freudiger Erwartung, die dicht gestellten Stuhlreihen sind bis auf den letzten Platz gefüllt – in der Staatsoper sitzt man auch nicht besser. Gespannt und in hellem Licht tritt das Duo vor das Publikum, gebannt lauschen wir drei Liedern von Robert Schumann. Johanna singt zum Niederknien schön, Thorsten ist nicht nur ein einfühlsamer Begleiter, im Laufe des Konzerts erfahren wir von ihm einige Episoden aus dem bemerkenswerten Leben der Clara Schumann.

Leider konnte sie ihr Talent als Komponistin nicht entwickeln: sie stellte sich den Konventionen der damaligen Zeit gehorchend ganz in den Schatten ihres Mannes. Nach seinem Tod musste sie dann ihre sieben Kinder als Virtuosin und Klavierlehrerin durchbringen; für das Schreiben von Musik blieb ihr keine Zeit. Leider. Denn ihre Stücke und Lieder können gegen ihren genialischen Mann durchaus bestehen. Besonders beeindrucken mich die Lieder „Ich hab‘ in Deinem Auge“ und „Liebst Du um Schönheit“, hinreißend gesungen & gespielt. Wir hören aber auch Musik von Johannes Brahms und dem heute vergessenen Theodor Kirchner; beide waren Clara in secret love verbunden. Brahms soll bei ihrer Beerdigung gesagt haben, er beerdige den einzigen Menschen, den er je geliebt habe. Am Ende des herrlichen Konzerts begeisterter Applaus, es gibt noch zwei Zugaben und Johanna Knauth und Thorsten Kaldewei ist zu wünschen, dass sie „Secret Love“ noch oft aufführen können.

Clara Schumann, die ihre letzten Jahre in der Frankfurter Myliusstraße 32 verlebte,  war eine bemerkenswerte und kluge Frau. Sicherlich würde sie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macon zustimmen, dass es keine Erde 2.0 gibt. Ganz sicher würde sie sich fragen, warum es neben Berlin immer noch sechs Ministerien in Bonn gibt und warum Regierungsmitarbeiter über 200.00 Mal zwischen Bonn und Berlin fliegen müssen (Bild, 15.09.19). Heute tagt wieder das sog. Klima-Kabinett. Fangt endlich an! Organisiert Euch besser, nutzt Videokonferenzen und den Staatskonzern Deutsche Bahn. 70% der Deutschen sind für den Klimaschutz – es soll sich nur nichts ändern und kosten darf’s natürlich auch nichts. Gute Reise!

Hauptstadt-Publikum

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Die Macht des Schicksals kennt weder Zeit noch Gnade: Don Alvaro (Russel Thomas) und rechts neben ihm Don Carlos (Markus Brück). © Thomas Aurin

Eine ganz besondere Premiere steht an. In der Deutschen Oper gibt Frank Castorf, der ehemalige Intendant der Volksbühne, mit Verdis „La forza del destino“ sein Berliner Operndebüt – oder sollte man sagen: Castorf inszeniert Castorf. Einige Publikationen insinuierten denn auch, mit dieser Besetzung sei bewusst ein Skandal geplant worden. Von der „Macht des Schicksals“ war nichts zu spüren, als Castorf die Oper unterbrechen ließ, damit Schauspieler einen Text aus Curzio Malapartes „Die Haut“ auf Englisch deklamieren konnten. Das war denn doch zu viel. Es kommt Unruhe auf im Parkett. „Lern erst mal singen“, tönt einer. „Wir wollen unseren Verdi wieder haben“, „Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben“, schallt es aus verschiedenen Ecken durch das Opernhaus. „Kleinstadt-Publikum“, „Hauptstadt-Publikum“ und schließlich noch „Geht doch nach drüben“. Ein Abbruch der Aufführung droht, doch dieser Skandal bleibt aus. Ein Skandal ist Castorfs Inszenierung trotzdem, weil er seine üblichen Regie-Patterns der Oper überstülpt, anstatt seine Interpretation aus dem Werk zu entwickeln. In den trefflichen Worten der Kritikerin Barbara Wiegand vom Inforadio „surft der Regisseur so platt wie plakativ an der Oberfläche des Stücks entlang.“ Oh, Frankie.

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Das phänomenale „Crazy Girl“ Barbara Hannigan, der Komponist Hans Abrahamsen und Sir Simon Rattle (Mitte) mit dem London Symphony Orchestra werden bejubelt. © Rolf Hiller

Ansonsten aber kann sich das Hauptstadt-Publikum derzeit nicht beklagen. Einzig bei der Kultur ist Berlin absolute Weltklasse. Kürzlich war die Netrebko in der Deutschen Oper, gleich zwei Neu-Inszenierungen von Wagners „Ring“ stehen in der nächsten Zeit an, das Berliner Ensemble ist mit „Baal“ (Regie: Ersan Mondtag) und die Schaubühne mit „Jugend ohne Gott“ (Regie: Thomas Ostereier) verheißungsvoll in den Theater-Herbst gestartet; das Musikfest Berlin hat uns weitere Sternstunden beschert. Das erste Berlin-Gastspiel des London Symphony Orchestras unter Sir Simon Rattle wird ein einziger Triumph. Mit der phänomenalen Sopranistin Barbara Hannigan – empfehlenswert ihr grandioses Album Crazy Girl – spielen sie Hans Abrahamsens Werk „let me tell you“, um nach der Pause mit Olivier Messiaens elfsätzigem Werk „Éclairs sur l’Au-Delà“ noch einen draufzusetzen. Gebannte Stille nach dem letzten, kaum hörbaren Ton – dann tosender Applaus!

Beseelt auf die Räder und übers Kulturforum nach Hause. Dort darf sich das Hauptstadt-Publikum auf das neue Museum der Moderne freuen, das in einer gewaltigen Halle (Kunst-Scheune) den Platz einst dominieren wird – wenn es dazu kommt. Denn der überarbeitete Entwurf des Architektenbüros Herzog & de Meuron ist zwar etwas kleiner, nimmt als Solitär aber keine Rücksicht auf das Ensemble der Gebäude des Kulturforums. Zudem muss jetzt ein weiteres Tiefgeschoss gebaut werden; statt der kalkulierten 200 Millionen Euro gehen Insider bereits von 600 Millionen aus, wie die SZ (12.09.19) vermeldete. Die Stararchitekten bauten auch die Hamburger Elbphilharmonie, die am Ende mit 866 Millionen Euro mehr als zehnmal so viel Geld verschlang wie ursprünglich geplant. „Uns geht’s ja noch gold“… (Romantitel von Walter Kempowski). Das Hauptstadt-Publikum darf sich auf einiges gefasst machen!

Frosch im Herbst

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Große Begeisterung für einen großen Abend in der Berliner Philharmonie nach einer konzertanten Aufführung von Richard Strauss‘ Oper „Die Frau ohne Schatten“. © Gitti Grünkopf

Der letzte Sommertag in diesem Jahr, meteorologisch gesehen. Und los geht’s zum Schlachtensee: Abschwimmen 2019. Das Wasser ist herrlich, wenig Boote unterwegs – wie schade, dass diese Saison schon wieder zu Ende geht. Wir sehen keinen Frosch und auch der sagenumwobene Wels lässt sich natürlich wieder nicht blicken. Nun beginnt der Herbst mit den Saisonstarts der Bühnen und den vielen Festivals. Den Auftakt macht immer das Musikfest Berlin, das heuer den französischen Komponisten Hector Berlioz feiert. Vom Orchestre Révolutionnaire et Romantique unter Leitung von Sir John Eliot Gardiner erleben wir ein fabelhaftes Konzert: die halbszenisch dargebotene Oper „Benvenuto Cellini“. Das Publikum in der Philharmonie ist begeistert.

Am Tag davor haben wir den Sommer gewissermaßen schon einmal beschlossen: wir sehen den großartigen Film „Once Upon a Time… in Hollywood“ von Quentin Tarantino in der Astor Lounge, einem unserer Lieblingskinos. In 162 Minuten, die nicht eine Sekunde zu lang sind, verwebt der Regisseur meisterhaft unterschiedliche Erzählstränge und Geschichten. Es geht um das Ende des good old Hollywood, paradigmatisch gezeigt am Schicksal eines abgehalfterten Westernhelden (grandios: Leonardo DiCaprio), der in lausigen Streifen und billigen Italo-Western herunterkommt. Die Zeit dieser Helden und die Illusion Love, Peace & Happiness sind im Sommer 1969 vorbei. Kurz vor dem Woodstock-Festival wurde die hochschwangere Sharon Tate in ihrem Haus von den Hippies der Manson Family bestialisch ermordet. Mit seiner Lust an kontrafaktischen Verschiebungen verschafft Tarantino jedenfalls dem Faktotum (Brad Pitt als tough guy) seines Helden noch einen starken Abgang.

In den üppigen Villen der Hollywoodstars tummeln sich bestimmt auch Frösche, und so fällt der Übergang zu Richard Strauss‘ monumentaler Oper „Die Frau ohne Schatten“ nicht schwer, die Fans gerne Frosch nennen. Gut zweihundertfünfzig Musiker*innen wirken bestimmt mit – vom Kinderchor bis zur Glasharfe ist alles dabei, was man sich irgend vorstellen kann. Strauss schafft es meisterhaft, diese Klangkörper raffiniert zu führen und einzusetzen. Was Wunder, dass es am Ende standing ovations für diesen konzertanten Frosch gab, allen voran für den Dirigenten des RSB Vladimir Jurowski und die famosen Solisten. Das ganz große Theater findet heuer aber nicht auf den Bühnen statt, die die Welt bedeuten, sondern in der Welt selber. Boris, mir graut’s vor Dir! Aus diesem Frosch wird kein schöner Königssohn.