Panzerstraßen

Allein auf weiter Flur. © Karl Grünkopf

Wer die Karte nicht genau liest, wird durchgerüttelt. Mit ziemlich besten Freunden bin ich übers Wochenende im Spreewald. In unserem Teppich-Hotel haben wir Räder gemietet und fahren entspannt los – auf dem gut ausgebauten Fahrradweg mit dem Gurken-Symbol. Gegen Ende der Tour wollen wir den Weg abkürzen und nehmen eine Strecke “Nicht zum Radfahren geeignet”. Dort treffen wir nur ein Pärchen zu Fuß und einen Kollegen, der sich auf seinem Bike in die Gegenrichtung durchkämpft. Die Panzerstraßen ziehen sich endlos hin. Immer wieder denke ich an die kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen mit dem unendlichen Leid der Zivilbevölkerung und an den Ukraine-Krieg, der noch weiter nach hinten in den Nachrichten gerutscht ist. Eine Lösung in den Kriegsgebieten ist nicht in Sicht. Bald beginnt der Winter in der Ukraine, die Unterstützung durch Amerika wird von den Republikanern immer mehr in Frage gestellt.

Am nächsten Vormittag kommen wir noch einmal durch Burg. In diesem beschaulichen Ort hatten zwei Lehrer im Frühjahr auf rechtsextreme und rassistische Vorfälle an ihrer Schule hingewiesen. Daraufhin wurden die beiden gemobbt und bedroht. Da sie keine (!) Unterstützung durch die Schulleitung erfuhren, haben die beiden Pädagogen Versetzungsanträge gestellt und die Schule inzwischen verlassen. Der Landkreis Dahme-Spreewald gilt als Hochburg der AfD, deren Kandidat bei der Landratswahl am 8. Oktober die meisten Stimmen bekam. Bei der notwendigen Stichwahl am 12. November stellen sich alle bürgerlichen Parteien hinter Sven Herzberger (parteilos). Dass Abwehrbündnisse gegen die AfD keine wirksame Strategie gegen die Rechtspopulisten sein können, scheint inzwischen bei der Ampel erkannt worden zu sein.

Womöglich hofft man sogar insgeheim, dass die Egoshooterin Sahra Wagenknecht mit ihrem Bündnis der AfD bei den Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Stimmen abjagen kann. Die charismatische Linkspopulistin und Putin-Versteherin will sich mit ihrem Bündnis Sahra Wagenknecht für eine andere Migrationspolitik, eine stärker national ausgerichtete Wirtschaftspolitik und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Mit diesem Konzept könnte sie für viele Unzufriedene eine Anlaufstelle werden. Ihrer Initiative “aufstehen. Die Sammlungsbewegung” verzeichnete zwar ein ordentliches Feedback in den Medien, scheiterte aber schon nach kurzer Zeit krachend. Vielleicht findet sie sich in dem Satz “Ich bin der Mensch, auf den ich gewartet habe” wieder. Diese Worte meiner Yoga-Meisterin gehen mir seit unserer Stunde gestern immer wieder durch den Kopf. Nicht nur deshalb versuche ich, keinen Unterricht bei ihr zu verpassen. Om.

Social Studies

Trouvaille in Bad Schmiedeberg © Karl Grünkopf

Wer war das? Beim Spaziergang durch Bad Schmiedeberg fällt mir dieses Schild sofort ins Auge: Buchhandlung ARD. In der Auslage statt Büchern Kinderklamotten. Nun könnte es ein Zufall sein, dass ausgerechnet der erste und der letzte Buchstabe des Namens abgefallen sind. Oder irgendjemand mit Sinn für dadaistischen Humor war da am Werke und hat einen subversiven Kommentar zu den Öffentlich-Rechtlichen abgegeben. Dieser Laden sticht aus der Trübsal der zerplatzten Hoffnungen hervor. Die meisten Geschäfte sind dicht, kaum jemand ist am Sonntagvormittag bei herrlichem Wetter im Städtchen uff’ de Gass’. “Das staatlich anerkannte Moor-, Mineral- und Kneippheilbad Bad Schmiedeberg”, steht bei Wikipedia, “liegt im Naturpark Dübener Heide etwa 30 km südöstlich der Kreisstadt Lutherstadt Wittenberg und etwa 50 km nordöstlich von Leipzig.” Die Lektorin dieser Zeilen ist dort einige Wochen zur Kur, sonst wäre ich wohl kaum in diesen kleinen, netten Ort gekommen, der dem Strukturwandel der Städte (noch) nichts entgegensetzt.

In der Abgeschiedenheit des Kurbetriebes sind die aktuellen Kriege und Konflikte der Welt so weit weg wie auf dem Zauberberg. Ein Klick in die (öffentlich-rechtlichen) Nachrichten und man ist wieder drin in der bedrückenden Situation. Längst ist der Krieg der Israelis gegen die Terrororganisation Hamas in Berlin angekommen. Der immer latent existierende Antisemitismus hat ein bedrohliches Ausmaß angenommen. Die Polizei der Hauptstadt bekommt Unterstützung aus den Bundesländern. Wie beim Angriffskrieg Putins auf die Ukraine ist es wieder an der Zeit, eine radikale Bestandsaufnahme zu machen und sich von lieb gewordenen Illusionen zu verabschieden. Es gibt in der arabischen Community einen massiven Antisemitismus, es gibt in Deutschland Parallelwelten mit archaischen Ideologien, es gibt dort eine bedenkliche Distanz zu unseren Normen & Werten. Das ist die dunkle Seite der Multi-Kulti-Gesellschaft, deren Konsequenzen niemand mehr verleugnen kann.

Niemals würde ich einen Gläubigen, der immer noch zur katholischen Gemeinde gehört, für die Verbrechen dieser Kirche verantwortlich machen, ebenso wenig wie einen Menschen mit persischen Wurzeln für die Verbrechen der Ayatollah. Juden & Jüdinnen hingegen werden mit dem Staat Israel gleichgesetzt, wie der Rabbiner Shlomo Afanasev am Tag nach dem Anschlag auf eine Synagoge feststellt und betont: “Juden in Deutschland und anderen Ländern sind nicht für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich oder dafür, ob Israel einen Fehler macht.” (Tagesspiegel, 19.10.23) Am Wochenende soll es in Berlin eine Demonstration für Israel geben. Leider kann ich nicht dabei sein. Mit zwei Freunden fahre ich in den Spreewald. Viele Themen werden uns beschäftigen, auch der Tod von Carla Bley. Am 17. Oktober ist sie im Alter von 87 Jahren gestorben; einer der Freunde schreibt, er habe keine:n Musiker:in so verehrt wie sie. Ich lege ihre Schallplatte “Social Studies” (1981) auf, die ich schon so oft gehört habe. 

Neue Schrecken

Alles für die Wissenschaft. © Rolf Hiller

Nolens volens bin ich dabei. Am Sonntag (!) rief unsere Hausärztin an und erfuhr, dass ich mich auch mit Corona infiziert habe und mit leichtem Fieber im Bett liege. Ich willige ein, kurz mit ihr zu telefonieren; und sie schafft es, mich als Probanden für eine Corona-Studie der Charité zu gewinnen. Alles für die Wissenschaft. Am nächsten Tag erscheint zur verabredeten Stunde ein Mitarbeiter. Wir erledigen die Formalitäten, hierzulande natürlich analog. Dann erhalte ich eine Einweisung. Täglich muss ich über den Verlauf berichten und insgesamt 7 PCR-Tests machen, der unangenehmste Teil des Programms. Nach der Blutentnahme am Esstisch verabschiedet sich der freundliche Herr und dankt noch einmal für meine Unterstützung. Zwei Tage später muss ich den ersten Abstrich im Rachen machen. Ich hatte ganz vergessen, wie unangenehm das sein kann. Wir alle haben vergessen, wie bedrückend & beängstigend Corona am Anfang gewesen ist, wie wir um Impftermine kämpften und schicksalsergeben noch die idiotischsten Anweisungen befolgten. Nun ist Corona wieder da, die Zahl der Infektionen nimmt rapide zu, aber die Krankheit hat ihren Schrecken verloren.

Der Tag der Landtagswahlen in Bayern und Hessen wird überschattet vom Angriff der Hamas auf Israel, der das Land vollkommen unvorbereitet traf. Der Mossad, angeblich der beste Geheimdienst der Welt, und das israelische Militär, angeblich eine der besten Armeen der Welt, wurden von der massiven Attacke ebenso kalt erwischt wie die Weltöffentlichkeit. Die Berichte von dort sind bedrückend, die Bilder vom Jubel über den Hamas-Terror aus Berlin Neukölln verstören. Wenn die Solidarität mit Israel deutsche Staatsräson ist, wie Olaf Scholz unmissverständlich klar machte, dann ist dringend zu klären, was arabische Kulturvereine im Schilde führen, was in den Moscheen passiert und wo öffentliche Gelder für den Gazastreifen möglicherweise landen. Arbeit zuhauf für eine wertegeleitete Innen- und Außenpolitik. Dass viele jüdische Einrichtungen hierzulande permanent unter Polizeischutz stehen müssen, ist ein Skandal, den wir nur nicht wahrhaben wollen. Neulich begegnete ich einem jungen Vater, der eine Kippa trug, mit seinem Sohn. In Neukölln würde er das sicher nicht riskieren.

Wer hätte gedacht, dass die beiden Landtagswahlen eine deutsche Einheit der negativen Art anzeigen. Nicht länger kann man in den westlichen Bundesländern den östlichen die Erfolge der AfD vorhalten. In Hessen wurde die Partei mit “verfassungsfeindlichen Bestrebungen”, so das Bundesverfassungsgericht, mit 18,4 % zur zweitstärksten Partei im Wiesbadener Landtag; in Bayern, wo der Söder Markus das schlechteste Ergebnis für die CSU seit 1950 holte, landete sie mit 14,6 % auf dem dritten Platz. Die Stimmung im Lande spiegelt sich im aktuellen ARD-Deutschlandtrend: die Ampel kommt nur noch auf 33%, kaum mehr als die Union, die jetzt bei 29 % steht; bundesweit würden dieser Befragung zu Folge 23 % die AfD wählen! Höchste Zeit, dieser Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auf Dauer lässt sich eine Politik gegen den Genossen Trend nicht durchhalten; das scheint in der Berliner Blase inzwischen angekommen zu sein. Hoffentlich nicht zu spät!

Einheit

Das „E“ liegt in der Schublade. © Karl Grünkopf

Vor über zwei Jahren begannen die ersten Planungen. Termin & Location mussten für ein großes Familienfest gefunden werden. Über die Republik verteilt, hatte sich ein Dream-Team gefunden, das allen Unwägbarkeiten und Überraschungen eines solchen Projekts gewachsen war. Als Ort wurde schließlich Schloss Ziethen in Brandenburg bestimmt, mehrere Besuche hatten zuvor stattgefunden. Damit begann erst die richtige Arbeit der vier Musketiere, die ich nur en passant verfolgte. Schließlich ist alles unter Dach und Fach, das lange Fest-Wochenende rückt immer näher – und damit die bange Frage nach Corona. Mit dem Beginn des Herbstes ist das Virus wieder da; trotzdem gibt es nur wenige Absagen. Ein heiteres, inniges und immer wieder inspirierendes Fest beginnt; eine Tante ließ sich weder von ihrem Alter noch von der Entfernung schrecken und kam eigens aus San Francisco angedüst. 

Sie war nicht die Einzige, die für dieses Familienfest aus Amerika anreiste. Was Zusammenhalt bedeutet, habe ich in diesen Tagen gespürt. Dass eine solche Einheit ein großes Glück ist, ging mir in diesen Tagen immer wieder durch den Kopf. Sinnigerweise gehen wir am ”Tag der deutschen Einheit” auseinander. Erst beim Abschied fällt mir die Inschrift über dem Eingang ins Schloss auf: “DEM VER…INIGEN GEWIDMET 1994″. Das “E” liegt in der Schublade, erzählt mir die Mitarbeiterin an der Rezeption munter. Da müssen wir alle es ganz schnell herausholen, denn um die deutsche Einheit steht es schlechter denn je. Die Diktatur in der DDR wird verdrängt & verklärt, die AfD gewinnt im Osten Deutschlands immer größere Zustimmung, Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird insgeheim bewundert oder schlicht ignoriert. In unsicheren Zeiten wie diesen ist Familie wichtiger denn je, in den Worten eines unserer Jüngsten: „Das war voll das allerschönste Fest. Es war sooo schön….” 

Inzwischen hat sich eine Signal-Gruppe gebildet; dieser Messaging-Dienst versorgt uns mit Bildern und Nachrichten. Leider werden immer neue Infektionen mit Corona gemeldet. Bereits während des Festes musste sich ein Paar zurückziehen und erschien nur noch kurz mit Maske. Leider hat es auch die Tante aus San Francisco erwischt, doch vermag das Virus die Erinnerungen an unser Fest nicht trüben. Es hätte schlimmer kommen können; es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn die Hälfte hätte absagen müssen. Die Infektionen werden hoffentlich alle gut überstehen und schnell vergessen. Das Fest auf dem Schloss und unsere “Einheit” werde ich in allerbester Erinnerung behalten. Zum guten Schluss noch ein treffliches Zitat von einem der Orgatiere: ”Denke ich an unsere wundervollen Familientage in Ziethen zurück, schiebt sich immer wieder ein Bild in den Vordergrund: Die strahlende F. umringt von Jungen und Alten, stets hellwach und energiegeladen – unsere schöne Familienmatriarchin.” Von dieser Einigkeit & Innigkeit werden wir alle lange zehren. Gerne wieder. Bald!