Gambler

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Kein Erfolg bei den lustigen Weibern: Falstaff wird verhöhnt und vertrieben. © Monika Rittershaus

Stößchen! „Die lustigen Weiber von Windsor“ sind Nachbarinnen in spießigen Doppelhaushälften irgendwo im Nirgendwo deutscher Vorstädte; das Bühnenbild passt trefflich ins trutschige Ambiente der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Genau dort hatte das Erfolgsstück von Otto Nicolai, dessen Story so unterhaltsam ist wie eh und je, am 9. März 1849 Premiere. Der tapsige Falstaff – herrlich René Pape im Fat-Kostüm mit gewaltigem Schmerbauch – stellt den lustigen Weibern nach und wird nach Herzenslust bloß gestellt. Der Regisseur David Bötsch setzt ganz auf Trash, so dass man glaubt, im falschen Haus zu sein: nicht in der Staatsoper, sondern in der Komischen, die ihre Saison mit „The Bassarids“ eröffnete; selbst das Satyrspiel inszeniert Barrie Kosky dort ohne seine Ledermännchen. Die wunderbaren Sänger*innen in der Staatsoper – allen voran Michael Volle und Anna Prohaska – haben sichtlich Freude in diesem Schwank, den der junge Dirigent Thomas Guggeis musikalisch souverän zusammenhält.

Ein Gambler ganz anderer Art ist die lebende Legende John McLaughlin. Der Meistergitarrist, geboren am 4. Januar 1942 in Yorkshire, hat Musikgeschichte geschrieben. Er war beim Geniestreich „Bitches Brew“ von Miles Davis dabei und hat dann selbst mit seinem Mahavishnu-Orchester die Fusion von Jazz und Rock vorangetrieben und durch seine Shakti-Alben mit indischen Partnern neue Welten erkundet; nicht zu vergessen natürlich das legendäre Konzert 1981 „Friday Night in San Francisco“ mit Paco de Lucia und Al di Melos. Meine Erwartungen an das Konzert des Meisters in der Darmstädter Centralstadion sind hoch – zu hoch. John McLaughlin & The 4th Dimension spielen prima, aber es fehlen die magischen Momente. Die sind zum Glück auf „The Inner Mounting Flame“ oder einer meiner Lieblingsaufnahmen von John McLaughlin „Extrapolation“ (1969) für immer festgehalten.

Damals war der Magier Harry Keaton noch nicht auf dieser Welt, und ich konnte natürlich nicht wissen, dass ich ihn einmal im kleinen Wiesbadener Thalhaus Theater erleben würde. Eigentlich ist er auch ein Gambler, der bei jedem Auftritt seinen Ruf riskiert. Nicht seine Zaubertricks verblüffen mich am meisten, sondern seine Mental-Magie. Wie schafft der Kerl es nur, sich 30 Begriffe (u.a. Sollbruchstellenverursacher), die wir Zuschauer aufschreiben durften, in der richtigen Reihenfolge zu merken? Wie kann einer in einer Rede plötzlich einen, zuletzt sogar 4 Buchstaben weglassen, so dass eine beeindruckende dadaistische Suada ohne Sinn entsteht? Würden solche Tricks einem Boris Johnson helfen, der bis jetzt noch jede Abstimmung im Unterhaus verloren hat? „Och, och, och“, rufen wir mit Harry und staunen über das immer neue Vexierbild Brexit. Good luck!

Wer bin ich?

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Versöhnung ausgeschlossen: Der großartige Bariton Günter Papendell (links) steht für das Apollinische und Dionysus Sean Panikkar. © Monika Rittershaus

Wieder eine spektakuläre Premiere in der Komischen Oper Berlin. Nach „Moses und Aron“ von Arnold Schönberg 2015 haben sich Barrie Kosky (Regie) und Vladimir Jurowski (musikalische Leitung) nun mit einem ähnlich komplexen Werk beschäftigt: Hans Werner Henzes 1966 entstandene Oper „The Bassarids“. Das selten gespielte Werk ist das Ereignis der noch jungen Saison! Nur ein Teil des Orchesters sitzt im Graben, einige Musiker spielen in den Rängen, die anderen teilen sich die Bühne mit dem Chor. Das Licht im Saal bleibt während der Aufführung an, wir erleben „The Bassarids“ (gesungen wird auf Englisch) als Zuschauer und als Beteiligte. Vordergründig geht es um den ewigen Konflikt zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen, doch in der griechischen Mythologie ist nichts eindeutig, trägt noch jeder eine geheime Schuld oder ein unbekanntes Schicksal. Ganz am Ende geht das Licht doch aus. Auf einem über die ersten Reihen gelegten Steg steht Dionysus (grandios der Tenor Sean Panikkar) ringt mit den Händen, verdreht die Augen und atmet nur noch. Dieser Sieger ist auch ein Besiegter seines Schicksals. Wir sind gebannt, als das Licht wieder angeht. Begeisterter Applaus für alle Mitwirkenden dieser Aufführung der Extraklasse!

Zwei Tage später treffe ich in Mainz meinen Freund Elektro-Putzi. Wir kennen uns seit fünfzig (!) Jahren, aber diesen Namen habe ich noch nie gehört. Das Gespräch sprudelt und springt durch die Jahre – wir erinnern & vergewissern uns miteinander. Das Restaurant „Como Lario“, in dem wir wieder hocken, wurde als erstes ausländisches Restaurant in Mainz 1962 eröffnet; hier bei Bruno futterte einst Ministerpräsident Helmut Kohl Pasta, und hier haben wir manche große Pizza verzehrt. Noch einen Wein in der Altstadt, und die Wege der Freunde & Nomaden trennen sich wieder. Elektro-Putzi. Herrliches Kinderwort. So nannte er sich, wenn irgend etwas automatisch aufging.

Wer bin ich? fragt sich auch Amphitryon im gleichnamigen Stück von Molière, das wir in einer Inszenierung von Herbert Fritsch an der Berliner Schaubühne erleben. Aus einem „raffinierten, bitterbösen Spiel um Schein und Sein“ (Monatsprogramm) wird da allemal ein harmlos bunter Theaterabend, der ohne Nachhall bleibt, was keinesfalls gegen die Schauspieler*innen gemünzt ist. Sie gehören teils schon lange zur lustigen Fritsch-Schar, in die sich Joachim Meyerhoff – er ist neu an der Schaubühne – trefflich einreiht. Während es in der Komischen Oper um Leben und Tod geht, wird die Identitätsfrage am Ku’damm verjuxt. Bitterernst geht es dagegen morgen im britischen Unterhaus zu. wenn es zum Schwur über den Brexit kommt. Hätte Shakespeare solch ein Stück schreiben können?

 

 

 

 

Wiener Welten

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Die Freunde des Mobilvereins in der Pause bei ihrer Lieblingsbeschäftigung. © Gitti Grünkopf

In schöner Regelmäßigkeit wird Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt. Es braucht nur ein paar Stunden, um diese Wahl persönlich zu überprüfen. Wie an Flughäfen gibt es am Hauptbahnhof bequeme Sitzgruppen; überhaupt gibt es in Wien viele Möglichkeiten, im sog. Öffentlichen Raum zu rasten & zu entspannen. Unsere Hoteliers schätzen durchaus Berlin, aber in ihrer Stadt sei es weniger hektisch, das Leben verlaufe ruhiger hier. Das spüren wir sofort und lassen uns treiben. Ein lebendiger Einzelhandel fällt auf, es gibt wenige Filialisten mit dem immer gleichen Angebot, die deutsche Städte und ihre Fußgängerzonen so monoton machen. Im Viertel Neubau entdecken wir gleich mehrere Fotogeschäfte; unweit des Hotels hat sich eines davon ganz auf Leica spezialisiert. Wenn wir mit der Straßenbahn 49 ins Zentrum fahren – das Netz des ÖPNV ist hervorragend -, kommen wir an winzigen Lädchen mit Antiquitäten & Kruschtel vorbei, entdecken witzige Boutiquen und verlockende Restaurants.

Alles so schön cool wie in Schöneberg, aber Wien ist natürlich auch ein Hotspot für Touris aus aller Welt. Und die buchen im Package den Goldenen Saal des Musikvereins gleich mit, dessen Akustik in aller Welt gelobt wird. Dieses Erlebnis wollten wir uns nicht entgehen lassen und kauften schon im Mai die Katze im Sack. Denn zu diesem Zeitpunkt lag das Programm noch nicht vor. Ein Best-of-Mozart erwartet uns auf harten, unbequemen Stühlen für 50 € das Stück auf dem Balkon; zum Abschluss dann natürlich noch die „Schöne Blaue Donau“ und der „Radetzky-Marsch“. Oha! Ein Konzert, das wir nicht vergessen werden. Nicht wegen der recht ordentlich gespielten Musik, natürlich in Rokoko-Kostümen, sondern wegen der vielen Besucher aus Asien. Sie scheint das Konzert kaum zu interessieren; unablässig sind sie mit ihren Smart-Phones zu Gange, obwohl auf japanisch und chinesisch darauf hingewiesen wurde, das digitale Alter Ego auszuschalten. Die Mädels an der Tür kommen kaum nach mit Ermahnungen und müssen kurz vor dem Ende des Konzerts ganze Horden ziehen lassen, die den Saal verlassen. Draußen warten schon die Gruppen-Fähnchen und Busse. Weiter geht’s zum nächsten Hotspot.

Wie unsere sympathischen Hoteliers verlassen wir am Wochenende wieder die beste Stadt aller Welten. Unser Hotspot heißt Dürnstein. Dort haben wir uns mit den lieben Pongs auf einige Tage in der Wachau verabredet. Das Publikum von gestern hätte sicher an den schrecklichen Kitschläden im Ort seine Freude gehabt, wir steigen hinauf zur Ruine hoch über der Donau. Damals war die Burg schier unbezwingbar, man hätte die Bewohner allenfalls aushungern können. Hier wurde einst der König von England, Richard Löwenherz, gefangen gehalten, und eine rührende Geschichte rankt sich um seine Befreiung. Der Minnesänger Blondel sei von Burg zu Burg gezogen und habe dabei immer das Lied angestimmt, das sein Herr so liebte. Und tatsächlich erklang eines Tages aus einem Kerker die zweite Strophe… In Wahrheit wurde damals von England ein horrendes Lösegeld für Richard bezahlt; singen musste dafür keiner. Fake News gab es schon, als Social Media noch in ferner Zukunft lag. Servus!

Vienna Calling

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Das Warten lohnt sich. Das legendäre Caféhaus hat seinen Charme bewahren können. ©️ Karl Grünkopf

Eine Fahrt mit dem Nachtzug der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ist ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Wir treffen uns in Berlin-Gesundbrunnen direkt am Gleis – um 18.36h startet der Nightjet nach Wien. Mit Mühe wuchten wir unser Gepäck in die Kabine und sind doch angenehm überrascht. Wasser steht bereit und kurz nach der Abfahrt überrascht uns der Service mit zwei Piccolo Frizzante und wünscht eine angenehme Reise. Wir zuckeln gemütlich gen Osten, denn der Nachtzug fährt über Polen und Tschechien nach Wien. In Frankfurt/Oder ist Schluss mit Zuckeln: Personen im Gleis meldet die App. Hinter vorgehaltener Hand steckt uns aber die österreichische Zugchefin, dass wir auf den polnischen Lokführer warten müssen. Denn nur er kenne die Strecke und nur er dürfe fahren.

Sei‘s drum. Wir hören Chopin, trinken Roten und futtern. Gegen 22 Uhr werden die Betten gemacht, wir üben uns auf winzigem Raum als Bad-Artisten. Licht aus, ohne eine Zeile zu lesen. Wir schlafen erstaunlich gut, bekommen die vielen Zwischenhalte überhaupt nicht mit – bis auf Bohumín (Tschechien) nachts kurz vor vier. Um 6.30h weckt uns der Nachtschaffner und möchte das Frühstück bringen. Nach der Akrobatik in der Nasszelle reicht es nur zu einem Tee, rasch klauben wir die Sachen zusammen und verlassen natürlich als Letzte den Zug. Im Wiener Hauptbahnhof gibt‘s einen Yoghurt, dann mit der Straßenbahn zum Hotel Schreiners. Das Inhaber-Ehepaar begrüßt uns freundlich mit Handschlag, und wir wissen im gleichen Moment, dass wir wiederkommen.

Spiegeleier fein dann im Café Central. Der touristische Hot-Spot, einst ein Treffpunkt der Wiener Literaten, überrascht mit schier unverwüstlichem Charme. Der Schriftsteller Peter Altenberg gab die Adresse dieses Caféhauses gleich als seine eigene aus. Abends natürlich ins Theater. Eine Bearbeitung von Gerhart Hauptmanns „sozialem Drama“ im Akademietheater klingt vielversprechend. Bei der Uraufführung vor 130 Jahren in Berlin gab es einen veritablen Theaterskandal, der den Autor schlagartig bekannt machte. In Wien setzt man auf die Modernisierung des Dramas nach Gerhart Hauptmann. Ewald Palmetshofer hat die Vorlage gewissermaßen prosaisiert: statt dramatischer Konflikte gibt‘s endloses Gerede & Gewese. Wir sitzen auf dem Balkon schlechter als bei Ryan Air, und die 135 Minuten ohne Pause ziehen sich endlos hin. Macht bloß Theater! habe ich mir in diesem Jahr schon häufiger gewünscht. Wieder vergeblich!