Ab ins All

Unsere Erde im Zeiss-Großplanetarium. Die beiden roten Punkte rechts stammen vom Laser-Pointer. © Rolf Hiller

Löwenjagd aufs Wildschwein war letzte Woche. Jetzt beherrschen Brände und eine nie dagewesene Hitzewelle in Südeuropa die Schlagzeilen, im holländischen Wattenmeer brennt ein Autofrachter, das Militär hat sich im Niger an die Macht geputscht. Dabei rutscht die Rezessionsgefahr in Deutschland in den Hintergrund; ebenso wie Meldungen immer neuer Angriffe Russlands auf die Ukraine. Wie viele Krisen können wir verkraften. Es gibt Menschen, die nur noch einmal am Tag Nachrichten hören – oder sich für eine Stunde ins Weltall beamen. “Falls es regnet”, erzählt die Schauspielerin Katharina Schüttler, “gehe ich ins Planetarium in der Prenzlauer Allee und schaue mir das Weltall an. Das beruhigt ungemein.” (Tagesspiegel/Ticket, 27.07.23) Im Laufschritt erreichen wir das Zeiss-Großplanetarium in Berlin und schon beginnt eine eindrucksvolle Bilderreise. Der launige Moderator lässt die Sonne untergehen, wir cruisen durch das Weltall und vergessen Raum & Zeit. 

Die neue Causa Merz verliert in Lichtgeschwindigkeit ihre Bedeutung. Bekanntlich hatte der (noch) starke Mann der CDU im ZDF-Sommerinterview eine Kooperation seiner Partei mit der AfD auf kommunaler Ebene nicht mehr ausgeschlossen. Merz, der mit seinem Programm “Alternativen für Deutschland” befremdet, Die Grünen als politischen Haupt-Gegner ausgemacht und sich abfällig über die gemeinsame Regierung dieser Partei mit der CDU in NRW geäußert hat, scheint die Kontrolle über sich und seine Kommunikation verloren zu haben. „Merz redet sich und seine CDU noch um Kopf und Kragen“, bilanziert die Nürnberger Zeitung. „Er muss einfach bei solchen Gelegenheiten sowohl glasklar sein als auch sachlich differenzieren. Das kann deshalb nicht heißen, mal eben eine Phrase rauszuhauen, die AfD-Demagogie bedient, und hinterher zurückzurudern. Damit lässt er selbst wohlwollende Wähler ratlos zurück.” Wird Friedrich Merz Kanzlerkandidat der CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2025? Ich halte dagegen. 

Am Tag vor der Reise ins All wollten wir uns “Oppenheimer” von Christopher Nolan nicht entgehen lassen. Selbst in der Nachmittagsvorstellung um 16 Uhr waren alle guten Plätze im Zoo Palast ausverkauft; ein überwiegend junges Publikum wollte sich das opulent inszenierte Biopic über Leben & Scheitern des genialen Physikers Robert Oppenheimer nicht entgehen lassen. Mit Popcorn & more dürfte das Kino an diesem Tag mehr Geld verdient haben als mit den Tix. Erst nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki kommen Oppenheimer Zweifel an seiner Arbeit. Da ist der Freidenker schon längst in den Fokus der Kommunistenjäger in der McCarthy-Ära geraten. Die Entwicklung der nuklearen Waffen hätte er sicherlich nicht aufgehalten, aber er hätte nicht mitmachen müssen. Heute verfügt sogar Nordkorea über Wasserstoffbomben. “Durch Zündung einer Wasserstoffbombe über der Arktis würde die polare Eiskappe schmelzen und eine riesige Welle freisetzen, die zahlreiche Länder überfluten würde. Auch ließe sich durch die Detonation mehrerer Wasserstoffbomben vor der kalifornischen Küste eine Tsunami-Welle auslösen, die den Westen der USA bis zu den Rocky Mountains überschwemmen würde (Quellen: Chemglobe; Gerhard Piper).” https://www.atomwaffena-z.info/start Für die Erde eine unvorstellbare Katastrophe, kosmisch gesehen eine Randnotiz. Permanent entstehen und vergehen Planeten und Sterne. 

Ein weites Feld

Der Tower des Flughafens Tempelhof lädt zur Besichtigung ein. © Rolf Hiller

Mit dem Fahrrad zum Flughafen – das war bis 2008 in Berlin überhaupt kein Problem. So lange war der City-Airport Tempelhof noch in Betrieb. Maschinen der Luftfahrtgesellschaft meines Onkels, der LGW, starteten und landeten dort bis 2007. Eine Klage gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof, ohne den die Luftbrücke der Alliierten zur Versorgung der Berliner Bevölkerung 1948-1949 nicht möglich gewesen wäre, hatte keinen Erfolg. Inzwischen wurde auch Tegel geschlossen, und der Pannenflughafen BER ist am Netz. Ein paar Interessierte treffen wir an diesem kühlen Sommertag im frisch renovierten Gebäudeteil des riesigen Komplexes, auf dessen Dachterrasse man den alten Tower besichtigen kann. Der Blick über das weite Tempelhofer Feld verknüpft die Zeiten; verlassen steht noch ein sog. Rosinenbomber vor dem Hangar.  

© Entwurf THF, Stefan Braunfels

In einer Ausstellung im Stockwerk darunter erfährt man einiges über das städtebauliche Dilemma dieses historischen Ortes. Erbittert wurde um eine Randbebauung gestritten, die schließlich per Volksabstimmung verhindert wurde. Phantastisch die Idee, dort einen Berg zu errichten, pragmatischer der Vorschlag, das Feld in einen Wald zu verwandeln und mit Hochhäusern zu säumen. Diese Idee sollte unbedingt wieder aufgenommen werden. Wohnraum ist knapper denn je, und eine Metropole kann sich eine weitgehend ungenutzte Freifläche in zentraler Lage nicht leisten. Nichts bleibt, wie es ist. Das Tempelhofer Feld ist so wenig eine heilige Kuh wie die riesigen Schrebergartenanlagen in der Stadt. Beide Themen sind ganz heiße Eisen, an denen sich die Parteien der Mitte nicht die Finger verbrennen wollen; es könnte Wählerstimmen kosten. Mit den Laubenpiepern will sich die Politik ebenso wenig anlegen wie mit den urbanen Eliten.  

Im Moment interessieren sich aber (fast) alle nur für eine Löwin, die irgendwo im Berliner Süden unterwegs sein soll. Das Tier sei in Kleinmachnow entlaufen, werde aber bisher von niemandem (!) vermisst. Ein Autofahrer hat die Löwin nachts gefilmt und einen polizeilichen Großeinsatz ausgelöst. Die Bewohner:innen sind aufgefordert, möglichst zu Hause zu bleiben und keinesfalls in den Wald zu gehen. Eine meinte abgeklärt im rbb24Inforadio, nach dem (angeblichen) Verzehr eines Wildschweins dürfte die Löwin erst einmal gesättigt sein. Das Thema beschäftigt inzwischen auch die überregionalen Medien und ist erst recht ein gefundenes Fressen in den Sozialen Medien; 38.500 mehr oder minder launige Tweets finden sich bei Twitter. Wir halten übrigens auch eine Löwin. Sie ist vollkommen harmlos, bewacht auf einem Sims unseren Sekretär, misst keine 6 cm in der Höhe und überlebt ohne Essen & Trinken. Das Tier hört auf den Namen Schleich und muss behördlich nicht registriert werden.  

P.S. Kurz nach Veröffentlichung des Blogs stellte die Polizei die Suche nach der Löwin, die kein Wildschwein verschlang sondern selber eins ist, ein. Irren ist menschlich!

Licht und Schatten

Welcome back: das Cosima zeigt wieder Filme. © Rolf Hiller

Seit Corona war das Kiez-Kino in Berlin-Friedenau geschlossen. Über ein Jahr lang wurde auf der Anzeigetafel versprochen: “Es geht bald wieder los”.  Nun ist das kleine Lichtspielhaus aus dem Jahr 1942 nach einer Renovierung und mit einem neuen Betreiber tatsächlich wieder geöffnet. Wir lieben diese alten Kinos, die nicht zu einer Kette gehören und deren Programm oft mit viel Herzblut gemacht wird. Kino ist dort noch ein Gemeinschaftserlebnis. Nach dem Vorprogramm und der Werbung geht der Vorhang zu, um sich sogleich wieder für den Hauptfilm zu öffnen – in einem richtigen Kino, nicht auf dem Smartphone. Zum Glück gibt es für diese Filmkultur noch immer genug Interessent:innen. Diese Zielgruppe hat auch das größte Publikumsfestival der Welt im Blick – die Reihe heißt “Berlinale goes Kiez”. 

Ob sie weiterläuft im nächsten Jahr, steht dahin – der Bund wird die Zuschüsse für die Berlinale im nächsten Jahr drastisch kürzen. Konnte das Festival im Jahr 2019 noch um die 400 Filme zeigen, wird das Geld im nächsten Jahr nur noch für 200 reichen. Einige Reihen werden ganz eingestampft, der Wettbewerb und sein ambitioniertes Pendant Encounters sollen aber ungerupft davonkommen. Dabei müsste es unabhängig von der Quantität endlich darum gehen, den Wettbewerb qualitativ zu verdichten. Es steht dem Festival nicht gut zu Gesicht, sich mit der Auswahl der zu vielen schwachen Filme zu blamieren. 2024 wird das letzte Jahr des Führungsduos Mariette Rissenbeek (Geschäftsführerin) und Carlo Chatrian (künstlerischer Leiter) sein. Sie leiten die Berlinale seit 2020, und ihre Amtszeit wurde vor allem durch Corona geprägt. Die Holländerin steht für einen neuen Vertrag nicht mehr zur Verfügung. 

Während wir trotz des Unwetters vor vierzehn Tagen bis jetzt einen relativ normalen deutschen Sommer erleben, erinnern heute viele Medien an die Flutkatastrophe im Ahrtal, die am 14. Juli 2021 begann. Der Wiederaufbau ist noch längst nicht abgeschlossen, der Lerneffekt gering. Viele Häuser werden genau dort wieder aufgebaut, wo sie vorher gestanden haben; die Landwirtschaft macht auf den Höhen so weiter wir vor der Katastrophe. Wir sind da keine Ausnahme. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt einen Vorrat an Essen und Trinken für 10 Tage. Doch wir betreiben weiter keine Vorratshaltung – bis zur nächsten Katastrophe. In Sizilien werden in den nächsten Tagen 48 Grad erwartet, in ganz Südeuropa wird das Wasser immer knapper. Dafür prophezeit die Wettervorhersage für Sylt Regen, Wind und Temperaturen um 17 Grad. Ist das ein Trost? 

Stadt Land See

Spektakuläre Performance am Müggelsee: „Kranetude“ von Florentina Holzinger © Rolf Hiller

In der Berliner Volksbühne haben wir die österreichische Choreografin und Performance-Künstlerin Florentina Holzinger verpasst, die derzeit bei Kritik & Publikum ganz hoch im Kurs ist. Ratzfatz waren die Tics für ihr neues Stück ”Kranetude – A musical composition for a crane, 4 drummers und 8 bodies on water” im Seebad Friedrichshagen ausverkauft. Bis 17 Uhr stand die Aufführung am zweiten und letzten Tag auf der Kippe – wegen des regnerischen Wetters. Mit einiger Verspätung gehen die nackten Frauen an ihre Schlagzeuge, infernalische Trommelschläge hallen über den Müggelsee, eine Dirigentin – auch sie nackt wie alle bei Holzinger – irrlichtert durch die Szene, am Kran streifen sich Perfomerinnen ihre Taucheranzüge über. Mit bloßem Auge können wir das Geschehen ganz gut sehen; das Opernglas haben wir wieder einmal vergessen. Der Kran zieht 8 (nun natürlich) nackte Nixen an einem runden Gestell aus dem Wasser, die dann bei knapp zwanzig Grad allerlei Formationen bilden – mich fröstelt es schon beim Zuschauen. 

Das sind spektakuläre, womöglich unvergessliche Bilder. Später cruisen zwei Performerinnen auf Flyboards über den See. Das Publikum ist genauso beeindruckt wie das Feuilleton, das uns tiefschürfende Fragen nachliefert. “Und wer sind diese riesigen weiblichen Wesen”, rätselt die TAZ (03.07.23), “die sich wie auf langen Wasserbeinen aus weiter Ferne langsam dem Strand nähern? Meeresgöttinnen? Amazonen? Außerirdische? Oder doch nur Frauen auf Flyboards?” Diese Vieldeutigkeit der Perfomances von Florentina Holzinger macht ihre Arbeiten derzeit zum Erfolg; jede:r kann darin etwas anderes sehen. Wer auf sich hält in der Berliner Kulturszene, muss ihr Erfolgsstück ”Ophelia’s Got Talent” an der Volksbühne erlebt haben. Im Herbst steht das Werk wieder auf dem Programm. 

„Stiller Protest“ am Schwarzen See. © Karl Grünkopf

Der Kontrast zwischen der hippen Performance am Müggelsee und einem ”stillen Protest” am Schwarzen See in Flecken Zechlin (Brandenburg) könnte nicht größer sein. Ich frage den Mann auf dem Grundstück, ob das von ihm sei und ich fotografieren dürfe. ”Dafür habe ich es ja gemacht.” Er dürfte Ende 60 sein, wählt bestimmt AfD, kommt nicht mit Parolen daher und wirkt eher ratlos. ”Der Russe lässt sich von den Amerikanern und der NATO nicht einschränken”, meint er und rechtfertigt so den Angriffskrieg auf die Ukraine. Das russische Narrativ von der unrechtmäßigen NATO-Osterweiterung in den 90er Jahren findet in Ostdeutschland breite Zustimmung und treibt der AfD die Wähler:innen in Scharen zu. Die Zukunft sieht er düster. Weil die Atomkraft hierzulande nicht mehr genutzt wird, müsse er wohl mit Holz heizen. Was tun? Wir müssen wieder lernen zuzuhören und versuchen, die anderen zu verstehen. Das gilt ganz besonders für die Pannen- Ampel, deren Performance schlechter denn je ist. “Das Fortschrittsprojekt namens Ampel hat es jedenfalls geschafft, einen neuen Tiefpunkt in Sachen politischer Kultur auszuloten. Der Gute-Laune-Kanzler Olaf Scholz wird aber auch das mit seinen gewohnt nichtssagenden Worten wegzumoderieren wissen.” (Cicero, 07.07.23)