Interessengebiete

Hedwig Höß (Sandra Hüller) genießt ihr Paradies in Auschwitz. Den Schrecken hört man nur in Jonathan Glazers Film „The Zone of Interest“ © Leonine

Am zweiten Tag nach dem Filmstart in Deutschland ist das Kino mit knapp 700 Plätzen am späten Nachmittag sehr gut gefüllt. Das Interesse an “The Zone of Interest” von Jonathan Glazer mit Sandra Hüller ist groß. Viele wollen diesen eindringlichen Film über das Leben der Familie von Rudolf Höß (Christian Friedel) sehen, der alle gängigen Klischees unterläuft. Höß, der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz ist kein schneidiger Nazi mit autoritärem Gehabe, er wird als zurückhaltender Mann geschildert – als Vater und als Chef. Die Vernichtung von 700.000 ungarischen Juden ist für ihn eine logistische Herausforderung, die er emotional völlig unbeteiligt annimmt. Immer denke ich an Hannah Arendts Wort von der “Banalität des Bösen”. Implizit nimmt der Regisseur diese Deutung auf – sein Film schildert das normale und banale Leben der Familie Höß; hinter der Mauer zum Konzentrationslager liegt ihr “Paradies”. Der Schrecken dort ist akustisch allgegenwärtig. Ein beunruhigendes Hintergrundgeräusch, das den Alltag begleitet und niemanden zu stören scheint.

“The Zone of Interest” basiert auf dem gleichnamigen Roman von Martin Amis, den die New York Times als “Meister der Neuen Widerwärtigkeit” bezeichnet hat. Bereits der Titel erinnert an den menschenverachtenden Zynismus des Hitler Regimes, Auschwitz wurde als “Interessengebiet” bezeichnet. “Das Interessengebiet des KZ Auschwitz (auch Interessengebiet des KL Auschwitz) war während des Zweiten Weltkrieges ein Sperrgebiet der Schutzstaffel für den Lagerkomplex Auschwitz im deutsch besetzten Polen. Auf diesem von der Außenwelt abgeschirmten Gebiet entstand der größte Konzentrations- und Vernichtungslagerkomplex des NS-Staates.” (Wikipedia) Jonathan Glazers Spielfilm – es ist übrigens erst sein vierter – zeigt die Normalität des Schreckens dieser Zeit. An die Vernichtung jüdischer Menschen in den Lagern hatte man sich gewöhnt. Sie lief wie eine endlose Tonschleife nebenher und schien niemanden zu stören. 

Und was nehmen wir heute alles hin? Am 18.03.2014 annektierten Putins Truppen die Krim, vor zwei Jahren begann der Überfall auf die Ukraine, das Leid im Gaza-Streifen schreit zum Himmel, die Situation vieler Flüchtlinge etwa in den Lagern in der Türkei ist deprimierend, fast 800 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen, in Deutschland, der drittgrößten Industrienation der Welt, droht laut Unicef (06.12.23) 1 Million Kindern dauerhafte Armut. Das und noch viel mehr wissen wir – und spalten es menschlich allzu menschlich ab. “The Zone of Interest” endet in der heutigen Gedenkstätte in Auschwitz, in der gerade geputzt wird. Vor Jahren waren wir einmal in Buchenwald – ein touristischer Hotspot des Grauens. Viele Besucher:innen sind natürlich mit ihren Handys beschäftigt, nuckeln an ihren Flaschen und erleben den Schrecken als Ausflug oder Schulpflichtprogramm. Das banalisierte Grauen.

Ein Kommentar zu „Interessengebiete

  1. … wir brauchten eine ruhige Weile, ehe wir gemeinsam über unsere Beobachtungen sprechen konnten.Diese brüchig- forsche Körpersprache von Sandra Hüllen, dies “normale”Leben vor der Mauer, mit unserem Wissen, was dahinter passierte.
    So beklemmend eindrucksvoll, da das eigentlich Grausame in uns gespiegelt wurde. ADÜ

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