Ausgelaugt

Der Goldene Bär ging bei der 74. Berlinale an den Dokumentarfilm „Dahomey“ von der Regisseurin und Produzentin Mati Diop. © Richard Hübner / Berlinale 2024

Mit einem Eklat begann die 74. Berlinale, mit einem Eklat endete sie auch. Herrschte am Anfang helle Empörung über die Einladung einiger AfD-Abgeordneter zur Eröffnungsgala – in den Vorjahren nahm daran übrigens niemand Anstoß -, nutzten einige die Abschluss-Veranstaltung zur Abrechnung mit Israel. Keine Rede davon, dass die Hamas den Angriff auf Israel am 7. Oktober begann, kein Wort darüber, wie zynisch diese Terrororganisation die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen als Geisel nutzt. Keine Reaktion im Publikum und bei den anwesenden Politiker:innen. Die Leitung der Berlinale, Mariëtte Rissenbeek (Geschäftsführung) und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian, distanzierten sich erst am nächsten Tag pflichtschuldigst und wurden einmal mehr zu Getriebenen, wie so oft in ihrer glücklosen Amtszeit. Sie hätten gewarnt & gewappnet sein müssen, zumal sich die Berlinale doch ganz explizit als politisches Filmfestival versteht. 

Über dem Eklat zum Abschluss gerieten Licht & Schatten der filmischen Qualität bei der 74. Berlinale in den Hintergrund. Der Wettbewerb fand bei der Kritik wenig Anerkennung – zu viele schwache Filme. Warum die neue Arbeit von Julia von Heinz (“Treasure”) in Berlin ihre Weltpremiere feierte, aber nicht im Wettbewerb lief, verstehe, wer will. Warum es bei der Berlinale nur eine (!) Auszeichnung für den/die beste/n Hauptdarsteller:in gibt, verdankt sich wohl einer merkwürdigen Anpassung an den Zeitgeist. Die Entscheidungen der Jury überraschen immer wieder, aber man muss sie klaglos hinnehmen. Den Goldenen Bären erhielt wieder wie im Vorjahr ein Dokumentarfilm – “Dahomey” von Mati Diop. Sicher eine gut gemeinte Entscheidung, die aber zeigt, dass Berlin gegen die Festivals in Cannes und Venedig weiter an Bedeutung verliert. “Der Goldene Bär zieht nicht mehr” (FAZ) und “Festival in Schieflage” (Tagesspiegel) bilanzierten die Experten.  

Derweil eskaliert die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen immer weiter. Auch wenn Israel nicht für den Angriff der Hamas verantwortlich ist, müssen sich die Regierung und die ganze Welt der Situation stellen. Aber ob das ohne einen Wechsel im Amt des israelischen Ministerpräsidenten möglich sein wird? Eines Tages wird hoffentlich unzweifelhaft geklärt, ob Benjamin Netanjahu die Warnungen seines Geheimdienstes bewusst ignoriert hat, um weiter im Amt zu bleiben. Der Mossad soll schon ein Jahr vor dem Überfall der Hamas genau davor gewarnt haben. Dass Israel einen Krieg gegen die Hamas und andere Terrororganisationen im Nahen Osten nicht gewinnen kann, liegt auf der Hand. Dass die demografische Entwicklung in dieser Krisenregion gegen Israel spricht und eine international garantierte Zwei-Staaten-Lösung der einzige Weg ist, dort halbwegs stabile Verhältnisse zu schaffen, müsste allen Kriegstreibern klar sein. Aber die Stimme der Vernunft findet derzeit kein Gehör! Es ist zum Verzweifeln. 

2 Kommentare zu „Ausgelaugt

  1. Die TAZ ist ja der Ignoranz von Antisemitismus-Vorwürfe unverdächtig. Daniel Bax, ihr ‚Redakteur im Parlamentsbüro‘, schafft es aber darüber hinaus, zwischen Antisemitismus und Anti-Israel-Kritik zu unterscheiden – etwas, was Vielen, z. B. dem Autor von „Ausgelaugt“, nicht gelingt! Der Trick der Israelischen Gemeinde in D, beides unter Antisemitismus zu vereinnahmen, ist sehr durchsichtig, verfängt aber leider immer öfter! Dazu gehört auch, den Hamas-Überfall vom 07. Okt. als isolierte Tat darzustellen, die urplötzlich vom Himmel fiel. Dabei werden also die ca. 70 Jahre davor einfach vergessen, worauf UN-Generalsekretär Gutierres hinwies à und was ihm sofort eine Rücktrittsforderung der ‚Freunde Israels‘ einbrachte, die Gott se iDank noch nicht zum Erfolg geführt hat. Geschichte kann man nicht einfach leugnen, vergessen oder verdrängen! Was in Bezug auf den (Spezialfall) Holocaust gilt, gilt für die Geschichte generell – man kann nicht selektiv auswählen!

    TAZ, 27-02-24

    • Empörung über die Berlinale
    • Der Ruf nach Konsequenzen
    • von Daniel Bax

    Nach den vorwiegend propalästinensischen Statements auf der Bühne schlägt die offizielle Kulturpolitik Alarm. Ist das noch gerechtfertigt?

    Deutschland ist empört. Der Bundeskanzler sagt, „dass eine derart einseitige Positionierung so nicht stehen gelassen werden kann“. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) kündigt an, die „Vorfälle“ aufarbeiten zu wollen, damit so etwas nie wieder passiert. Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein findet, die ausländischen Filmschaffenden hätten „ihr Gastrecht missbraucht“. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) kündigt Konsequenzen für die Kulturförderung an. Der Justizminister droht mit strafrechtlichen Konsequenzen.

    Was ist passiert? Auf der Abschlussgala der Berliner Filmfestspiele äußerten sich Jury-Mitglieder sowie Preisträgerinnen und Preisträger zu Israels Krieg in Gaza. Einige forderten mit Ansteckern einen Waffenstillstand. Der US-amerikanische Regisseur Ben Russell sprach von einem „Genozid“, er und andere trugen Palästinensertücher. Der israelische Filmemacher Yuval Abraham, dessen Film über die Siedlungspolitik seines Landes in der Westbank ausgezeichnet wurde, sprach von „Apartheid“. Sein palästinensischer Co-Regisseur Basel Adra forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Das Publikum applaudierte. Die Berlinale-Leitung distanzierte sich anschließend von den Statements.

    In den überschäumenden Reaktionen ist jetzt viel von „Israel-Hass“ und „Antisemitismus“ die Rede. Dabei handelt es sich in all diesen Fällen um eine politische Kritik. Man kann diese Kritik einseitig und falsch finden, für plakativ, völlig überzogen, naiv oder unfair halten. Es bleibt aber eine politische Kritik an Staaten, in diesem Fall an Israel und Deutschland. Das ist etwas anderes als ein Ressentiment gegen­ eine Minderheit, und es ist von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, auch wenn es einer vermeintlichen „Staatsraison“ widerspricht.

    Muss man das aushalten? Ja, auch wenn es einem nicht gefällt. Alles andere läuft auf Gesinnungsprüfungen, Benimmregeln, Verbote und Zensur hinaus. Das wollen manche offenbar, denn das meinen sie mit „Konsequenzen“. Das sollten sie dann auch so offen sagen, statt sich hinter Antisemitismusvorwürfen zu verstecken.

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