Anstand lohnt sich immer

Johannes Hegemann und Liv Lisa Fries im Film „Alles Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen © Frederic Bartier / Pandora Film

Ein bisschen Glück schadet nie bei der Berlinale. Wir konnten beim morgendlichen Booking am Rechner fast alle Filme bekommen, die wir sehen wollten, und haben nur einen echten Flop erlebt. Eine gute Bilanz für einen wieder einmal sehr durchwachsenen Wettbewerb, bei dem man sich immer wieder fragen muss, was dort Filme wie die verquaste Lovestory “Black Tea” zu suchen haben. Andererseits gab es Weltpremieren, etwa “Andrea lässt sich scheiden” von und mit Josef Hader, die in der Sektion Panorama liefen. Vielleicht schafft es Tricia Tuttle, die neue Intendantin der Berlinale, im nächsten Jahr, die Qualität des Wettbewerbs zu erhöhen und die Reihen klarer zu positionieren. “Encounters”, das Lieblingsprojekt des scheidenden künstlerischen Leiters Carlo Chatrian wird es dann hoffentlich nicht mehr geben. Bei ihrem ersten Auftritt in Berlin machte Tricia Tuttle, die zuvor das BFI London Film Festival geleitet hat, einen sehr guten Eindruck. Die Berlinale braucht dringend frische Ideen & Impulse. 

Dabei waren im Wettbewerb heuer durchaus hervorragende Filme vertreten, etwa “Sterben” (183’) von Matthias Glasner, mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger prominent besetzt. Gleichfalls in Erinnerung bleiben “My Favourite Cake”, Glück und Leid einer kurzen Liebe im Alter, von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha, das berührende Coming-of-Age zweier junger Frauen in “Langue Étrangère” oder der dänisch-schwedische Beitrag “Vogter”, eine dichte, packende Täter-Opfer Geschichte in einem Gefängnis. Vielleicht gewinnt aber Andreas Dresen mit “In Liebe, Eure Hilde” den Goldenen Bären 2024, der das historisch verbürgte Leben der jungen Hilde Coppi (Liv Lisa Fries) erzählt, die durch ihren Freund im Widerstand gegen die Nazis aktiv wird – und wie alle anderen der jungen Idealisten unter dem Schafott endet. Dresen hat den Stoff bewusst enthistorisiert und verzichtet auf Genre-Klischees. 

“Anstand lohnt sich immer”, sagt Drehbuchautorin Leila Stieler anschließend auf der Pressekonferenz. Ein Satz, der nachhallt und dem sich jede:r in Zeiten wie diesen stellen muss. Am 24. Februar vor zwei Jahren begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und setzte bei uns jede Menge Realitätsschocks in Gang. Inzwischen lässt sich nicht mehr ausschließen, dass die ausgepowerte Ukraine den Krieg verliert. Dann steht der nächste Realitätsschock bevor, wenn der Diktator Putin das Baltikum angreift und damit die NATO. Am 25.02.2022 notierte ich an dieser Stelle: “Gerade hat der russische Außenminister Sergej Lawrow der ukrainischen Regierung die demokratische Legitimation abgesprochen. Zynischer geht’s nicht. Nicht auszudenken, wenn der amerikanische Präsident noch Donald Trump hieße…” Es ist leider nicht auszuschließen, dass der nächste amerikanische Präsident wieder Donald Trump heißt, allen Anklagen & Prozessen zum Trotz. Zur nächsten Berlinale wissen wir mehr. Schlimmer geht’s leider immer. 

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