
Regen bringt Segen. Es regnet gleichmäßig die ganze Nacht. Ich stelle mich irgendwann im Dunkeln ans Fenster, schaue zu und fahre in Gedanken noch einmal meine Tour durch Deutschland. Montag war ich in unserem Kasseler Büro, konnte aber von Berlin nur über Magdeburg direkt fahren. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt – sie verfügt normalerweise über keinen ICE-Anschluss – müssen wir halten. Oha! Einige Mitarbeiter:innen der Deutschen Bahn steigen aus und müssen einen Wagen überprüfen. Wir erreichen den Bahnhof Kassel Wilhelmshöhe nur mit einer guten halben Stunde Verspätung. Glück gehabt. Es hätte schlimmer kommen können. Abends auf der Fahrt nach Frankfurt fügt sich eine Verspätung trefflich mit meinen Plänen. Der ICE ist fast leer, ich habe ein ganzes Abteil für mich – herrlich. Tags darauf im RE nach Zwingenberg die übliche Pendler-Demütigung. Der (zu kurze) Zug brechend voll, die Klimaanlage wieder einmal ausgefallen.
Die Rückfahrt nach Berlin lässt sich anfangs gut an; der ICE fährt pünktlich in den Frankfurter Hauptbahnhof ein. Wir starten aber mit 20 Minuten Verspätung, der Speisewagen muss geräumt werden – in diesem Zug gibt es “heute kein gastronomisches Angebot”. Auch recht. Wir zuckeln los, müssen dann aber in Frankfurt Süd schon wieder stehen bleiben – auf der Toilette wurde geraucht. Wahrscheinlich ging irgendein Alarm an. Nach einer Stunde verlassen wir endlich Frankfurt. Vor Erfurt schreckt uns der Zugchef mit einer Durchsage auf: Weichenstörung! Ich rechne mit einer weiteren Stunde Verspätung, da kommt auch schon die frohe Kunde: das Problem ist behoben. Irgendwann hat der Zug noch eine Türstörung, und mit einer Stunde Verspätung erreichen wir unser Ziel. Vom Zugpersonal ließ sich während der ganzen Fahrt niemand blicken.
Die Deutsche Bahn ist abgerockt. Der Staatskonzern wurde jahrzehntelang auf Effizienz getrimmt, die Instandhaltung des Netzes und des Materials zugunsten eines höheren Profits vernachlässigt. Das rächt sich nun und wird sich so schnell nicht korrigieren lassen. Der für das Netz zuständige Vorstand der Deutschen Bahn, Berthold Huber, rechnet jedenfalls für die kommenden Monate mit starken Beeinträchtigungen für die Fahrgäste. Das verheißt nichts Gutes, zudem nun auch noch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit unbefristeten Streiks in der Urlaubszeit droht. Und im Herbst stehen die Tarifverhandlungen mit der streiklustigen GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) an. Einen konstruktiven Vorschlag bietet die FAZ an: “Statt auf Rücksichtnahme der Gewerkschaften zu hoffen, sollte die Ampel endlich gesetzlich sicherstellen, dass bei Streik künftig wenigstens eine mobile Grundversorgung auf der Schiene gewährleistet ist.” (23.06.23) Gute Reise!
