
Der Film “Die Theorie von Allem” des jungen Regisseurs Timm Kröger wurde in diesem Jahr als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig gezeigt. Als Verbeugung vor den Hollywood-Filmen der 50er Jahre erzählt der beeindruckende Mystery-Thriller die Geschichte eines angehenden Physikers, dessen Welt bei einem Kongress in den Schweizer Bergen buchstäblich aus den Fugen gerät und in viele Parallelwelten zerfällt. Das wird meisterhaft ins Bild gesetzt und ist mit den Schauspieler:innen Jan Bülow, Olivia Ross und Hanns Zischler großartig besetzt. Freilich verliert sich “Die Theorie von Allem” in den (allzu) vielen Geschichten und findet nicht zu seiner Story. “Der vornehmlich in Schwarzweiß gedrehte Arthaus-Thriller“, resümiert der Kritiker Uwe Bettenbühl, ”gestaltet sich als Referenz auf klassisches Filmemachen, mit einem zuweilen demonstrativen Score und einer erst mainstreamigen, dann utopischen Geschichte, die viel Raum für Spekulation bietet.” (FRIZZ Das Magazin, 10/23)
Das Multiversum außerhalb unserer Realität bleibt ein faszinierendes Rätsel; die multiperspektivische Sicht auf unsere Welt prägt längst unseren Alltag. Das Konzept des JazzFest Berlin 2023 unter dem Titel “Spinning Time” scheint sich daran orientiert zu haben. Der Reigen reichte heuer von reichlich ambitionierten Projekten der künstlerischen Leiterin Nadin Deventer bis zur Verbeugung vor den Altmeistern der Improvisierten Musik. Es fehlten indes die Young Lions, junge Musiker:innen mit Esprit etwa aus der schwer angesagten Londoner Szene, zumindest auf der Großen Bühnen des Hauses der Berliner Festspiele. Dort imponierte der 80-jährige Posaunist Conny Bauer, der mit dem Albert-Mangelsdorff-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, mit einem Trio in freier Improvisation.
Gegen ihn blieben die Legenden Henry Threadgill (79) und Fred Frith (74) blass, präsenter dagegen der Drummer Andrew Cyrille im Duo mit dem Saxophonisten Bill McHenry; der Schlagzeuger war schon 1969 mit Cecil Taylor bei den Berliner Jazztagen zu erleben und bedankte sich jetzt launig beim “Staff” des Festivals. Wirtschaftlich war die 60. Ausgabe des JazzFest Berlin wieder ein großer Erfolg – es kamen 7.000 Besucher:innen, alle Konzerte waren ausverkauft. Weniger Projekte wären indes mehr gewesen, weniger Wiederholungen auch. Sylvie Courvoisier, Mary Halversom und Eve Risser hatte Nadin Deventer schon einmal eingeladen. Den unverbrüchlichen Optimismus eines Alexander von Schlippenbach ficht das nicht an, der mit seiner Partnerin Aki Takase “Four Hands Piano Pieces” zu Beginn des Festivals spielte; für diese “Weltpremiere” gab es viel Applaus. “Aber Jazz”, wird er im Programm-Leporello zitiert, “ist sowieso unverwüstlich. Er geht durch alle Stile durch und transformiert sich.” Dann kann ja beim 60. Geburtstag des JazzFest Berlin 2024 eigentlich nichts schief gehen.
