
Vor den Kinos trennen sich die Welten. Die Mädels mit den meterhohen Popcorn-Eimern strömen in den Fantasyfilm “Chantal im Märchenland”, der die Kinocharts derzeit anführt. Wir interessieren uns für “Morgen ist auch noch ein Tag”. Eine Nachbarin uff de Gass’ hatte mich auf diesen Schwarzweiß-Film einer mir völlig unbekannten italienischen Regisseurin hingewiesen, der in ihrem Heimatland im letzten Jahr mit fünf Millionen Besuchern mehr Publikum als Barbie verzeichnete. Ein hochinteressantes Interview im Tagesspiegel steigert noch meine Neugier – und unsere Erwartungen werden nicht enttäuscht. Im Gegenteil, Paola Cortellesi legt mit ihrem Debüt ein Meisterwerk vor, das mit Klassikern wie “Fahrraddiebe” und “La Strada” im gleichen Atemzug genannt werden muss. Erzählt wird die Geschichte einer Frau – grandios gespielt von der Regisseurin selbst – in der Nachkriegszeit. Ihr Mann demütigt, erniedrigt und prügelt sie; ihr Leben mit drei Kindern, einem despotischen Schwiegervater und miesen Hilfsjobs ist deprimierend. Trotzdem verliert Della nie den Lebensmut, kleine Fluchten wären möglich und scheitern doch, aber am Ende gelingt ihr der Triumph einer Selbstermächtigung. Das ist ganz großes Kino, herzzerreißend und herzerwärmend.
Könnte man die Choreografien von William Forsythe, dessen große Karriere in den 70er und 80er Jahren in Frankfurt begann, in diesen Zusammenhang stellen? Sein Ziel war es, das Ballett aus den Zwängen der Konvention zu befreien und eine neue Sprache des Tanzes zu entwickeln. Mit dem Staatsballett Berlin hat er einige Arbeiten neu einstudiert – Standing Ovations bei den durchweg ausverkauften Vorstellungen in der Deutschen Oper Berlin. “Die Komplexität der Choreografien, die sich in irrsinnigen Geschwindigkeiten samt atemberaubender Tempowechsel auf der Bühne abspielen, kann man kaum im Detail erfassen, geschweige denn mit Worten beschreiben”, brachte es Elisabeth Nehring trefflich im Tagesspiegel auf den Begriff (19.02.24) Besser als der Gesangspop von James Blake passen zu diesen neuen Tanzwelten indes die elektronischen Klänge von Thom Willems, mit dem Forsythe seit Jahrzehnten schon kooperiert.
Zumindest einen wichtigen Etappensieg konnten die Klima-Seniorinnen aus der Schweiz in dieser Woche vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verbuchen. Ihr Heimatland wurde wegen mangelnder Initiative im Kampf gegen den Klimawandel verurteilt. Diese ganz wichtige Entscheidung wird Konsequenzen haben, auch in unserem Autoland. Nun droht der Verkehrsminister und oberste Lobbyist der deutschen Autoindustrie Volker Wissing mit einem Fahrverbot und sagt Versorgungsprobleme voraus, sollte sein Ressort gezwungen werden, jährlich 22 Mio Tonnen CO2 einzusparen. Wieder wischt der FDP-Mann ein moderates Tempolimit vom Tisch und zeigt einmal mehr, wie ernst es seiner Partei mit dem Kampf gegen den Klimawandel ist. Nach wie vor gibt es die Pendlerpauschale, werden Diesel und Dienstwagen subventioniert und die Autos hierzulande immer wuchtiger. Aus der selbst ernannten Zukunfts- ist längst eine Zoffkoalition geworden. Auch daran haben wir uns schon gewöhnt.
