Das Geschenk

“Aufstand der Anständigen – Demo für die Brandmauer” vor der CDU-Parteizentrale in Berlin. © Rolf Hiller

Zum Ritual nach Demonstrationen gehört, dass die Veranstalter immer mehr Teilnehmer:innen zählen als die Polizei. Zwischen 250.000 und 160.000 waren am Sonntag beim “Aufstand der Anständigen – Demo für die Brandmauer” in Berlin auf der Straße. Die Abschluss-Kundgebung fand vor der CDU-Parteizentrale statt. Immer wieder skandierte die Menge “Shame on you CDU” als Reaktion auf Friedrich Merz’ Entscheidung, das Zustrombegrenzungsgesetz bei der Abstimmung im Bundestag auch mit Unterstützung der AfD durchbringen zu wollen. Diese All-in-Strategie ging bekanntlich nicht auf und wird von der Altkanzlerin Angela Merkel scharf kritisiert; auch einige CDU-Ministerpräsidenten gingen auf Distanz zu Merz, etwa Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen. Erstaunlicherweise kommen wir gut durch bis zum Lautsprecherwagen und hören die eindringlichen und nachdenklichen Worte der Publizistin Carolin Emcke. Sie erinnert daran, dass Deutschland die Demokratie geschenkt bekommen habe und es nun gelte, dieses Geschenk in Ehren zu halten – und zu verteidigen. 

Es geht ums Ganze, die Verteidigung der Demokratie, die sich die Bürgerrechtler der DDR 1989 erkämpften. Nach der umjubelten Wiedervereinigung, die ein Beitritt der DDR zur BRD gewesen ist, begannen für viele Menschen in Ostdeutschland bittere Jahre. Viele verloren ihre Jobs, die meisten Unternehmen wurden von der Treuhand abgewickelt, die Spitzenpositionen wurden und werden von Westdeutschen besetzt. Die Wiedervereinigung war eine freundliche Übernahme der DDR durch den Kapitalismus. Goldgräberstimmung herrschte, Ostdeutschland eine leichte Beute, an der sich viele eine goldene Nase verdienten. Um so wichtiger wäre es gewesen, einen symbolträchtigen Ort wie den Palast der Republik zu erhalten, der weit mehr war als der Sitz der Volkskammer. Bekanntlich wurde das asbestverseuchte Gebäude mitten in Berlin bis 2008 abgerissen. Dort steht nun das Humboldt Forum, ein steriler Nachbau des Berliner Schlosses – clean mit der Atmosphäre eines Kaufhauses. 

Statt die Bedeutung des hochmodernen, sehr funktionalen und von weiten Teilen der Bevölkerung geliebten Palastes der Republik anzuerkennen, stimmte der Bundestag für den Abriss auch der Grundmauern, die nach der Asbestsanierung noch standen. In einer lieblosen Ausstellung im Humboldt Forum (bis zum 16. Februar) kann man sich noch einmal einen Eindruck verschaffen. Aufschlussreich sind die Kommentare, die die Besucher:innen an verschiedenen Stationen abgeben können. “Vor dem Abriss: Kulturpalast höchster Qualität – Nach dem Beitritt: Siegermentalität + Demütigung”. “HUMBOLDT-FORUM ABREISSEN” ist gleich am Eingang zu lesen. Der AfD ist es in Ostdeutschland gelungen, dieses Gefühl der Demütigung zu instrumentalisieren und sich zum Fürsprecher von Bürger:innen zu machen, deren Leben ungeachtet einer materiellen Absicherung von Verlusten geprägt ist. Ihnen verleiht die AfD vermeintlich eine Stimme und bedroht das Geschenk der Demokratie, das die Bürgerrechtler einst für sie erkämpften. Ihre Parole war damals “Wir sind das Volk”. Geschichtsvergessenheit kann sich bitter rächen. 

Hinterlasse einen Kommentar