Rückkehr nicht ausgeschlossen

Trabant mit passendem Anhänger im Museum für sächsische Fahrzeuge in Chemnitz. © Karl Grünkopf

Über Chemnitz wusste ich nur, dass diese Stadt in der DDR Karl-Marx-Stadt hieß und knapp 300 Kilometer von Berlin entfernt ist. Dass Chemnitz in diesem Jahr neben Nova Gorica in Slowenien eine der Kulturhauptstädte Europas ist, machte uns neugierig. Auf nach Chemnitz also – “C the Unseen” heißt das Motto. Per Zufall sind wir auf ein Hotel auf dem Schloßberg gestoßen und machen uns von dort aus zu Fuß auf den Weg. In der City gehen wir zuerst ins Besuchs- und Informationszentrum in der Hartmann Fabrik. Die Mitarbeiter:innen sind superfreundlich und hilfsbereit. Natürlich schauen wir uns einen Standort der #3000Garagen an – dieses Projekt “präsentiert die rund 30.000 Chemnitzer Garagen, die größtenteils zu DDR-Zeiten kollektiv und in Eigenleistung gebaut wurden, als lebendige Archive, Kreativräume und Orte der Begegnung.” (Presse-Info). Da wir keinen Time-Slot gebucht haben, ziehen wir weiter.  

Später erfahren wir, dass man die meisten Garagen nur anschauen kann, wenn ihre Besitzer:innen da sind und Lust & Laune auf interessierte Touris haben. Beim Gang durch die Innenstadt entdecken wir unser “C the Unseen”. Beim monströsen Marx-Denkmal spielt ein famoses Jugendorchester Schostakowitschs “Waltz No.2” und danach gleich Adeles Titelsong für den James Bond Film “Skyfall”. Das Opernhaus der Stadt beeindruckt nicht weniger als der Kaßberg, der zu den größten zusammenhängenden Gründerzeit- und Jugendstilgebieten Europas zählt. Nach dem zünftigen Dinner schlagen wir uns per Bus und zu Fuß durch zum Hotel. Wir haben eine freundliche, weltoffene Stadt entdeckt, die natürlich vom 2. Weltkrieg und dem hastigen Wiederaufbau geprägt wird, die aber nicht durch überdimensionierte Straßen und einfallslose Plattenbauten verhunzt wurde wie etwa Dessau. 

Am nächsten Tag schauen wir uns noch eine der ältesten Hochgaragen Deutschlands an, die jetzt von einem Möbelhaus genutzt wird. Im Parterre befindet sich das Museum für sächsische Fahrzeuge; dort entdecken wir ein fein restauriertes Trabigespann, mit dem wir am liebsten weitergefahren wären nach München. Natürlich hätte es viel länger gedauert, aber es wäre ein tolles Erlebnis gewesen, kurz vor dem 35. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, der natürlich mit hehren Worten der Politik und nachdenklichen Kommentaren der Presse begangen wird. Die Badische Zeitung aus Freiburg richtet den Blick erfreulicherweise in die Zukunft: „Mehr als 26 Millionen junge Menschen kennen überhaupt nur das wiedervereinigte Deutschland. Immer weniger spielt im Alltag eine Rolle, ob man in Görlitz oder Gütersloh geboren wurde. Längst ist für die Lebensverhältnisse entscheidender, ob man in einer Großstadt oder auf dem Land lebt, ob das Elternhaus begütert ist oder nicht, als die Frage, ob das heimische Bundesland ein altes oder ein neues ist.“ (02.10.25) Sollte diese Analyse zutreffen, müsste der Staat seine Politik vollkommen neu ausrichten: nicht mehr am Unterschied zwischen Ost und West, sondern an dem zwischen Land und Stadt. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die seit der deutschen Wiedervereinigung ein erklärtes politisches Handlungsziel der Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist, bekäme dann eine vollkommen neue Bedeutung.  

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