
Vor zwanzig Jahren wurde ich zu einem Segeltörn um Mallorca eingeladen, den ich nie vergessen werde. Zum einen war es mein Debüt als Leichtmatrose, zum anderen kamen wir nachts in ein fürchterliches Unwetter. Der Hilfsmotor und die Navigation waren ausgefallen, das Boot taumelte durch die Wellen. Vorher konnten wir wegen des Seegangs nicht in einen Hafen einlaufen. Der Skipper behielt die Ruhe: “Ein solches Schiff kann nicht sinken”, wiederholte er immer wieder. Ich vertraute ihm und hatte keine Angst. Nach solchen Erlebnissen kann eine Bootstour auf der Havel nicht schrecken. Freunde haben uns übers Wochenende eingeladen, wir haben insgesamt Glück mit dem Wetter. Es ist zwar für die Jahreszeit zu kühl, einen tüchtigen Regenschauer erleben wir auch, aber die meiste Zeit sitzen wir unter herrlichem Wolkenspiel am blauen Himmel. Und schon liegen wir im Hafen von Ketzin. Beim etwas schwierigen Anlegen komme ich mir so überflüssig vor wie vor zwanzig Jahren; ich bin wieder keine Hilfe.
Die langsame Fahrt durch die Kanäle und auf der Havel entschleunigt. Die Zeit vergeht, ohne dass die Crew etwas tun müsste; der Skipper hat alles im Griff. Leere und doch so erfüllte Stunden. Abends gehen wir durch Ketzin ein Stück die Havel hinauf zum Essen. Der Ort wirkt wie ausgestorben, viele Häuser sind leer und unbewohnt. Wie mag es hier im Winter sein, geht es mir durch den Kopf, als wir wieder auf dem Boot sind. Die Landflucht ist nur eines der vielen Probleme der Dörfer in Brandenburg, in die Touris gerne kommen, aber keineswegs dort leben wollen. Nach einem Glas Rotwein beginnt die frische und für mich etwas zu kurze Nacht in einem etwas zu harten, kleinen Bett. Dennoch stecken wir das alle gut weg und wollen im nächsten Jahr wieder eine Tour zusammen machen. Nach dreißig Stunden machen wir im Zielhafen fest.

Einen Cocktail zum Abschied nehmen wir im Katharinenhof, direkt am kleinen Bootshafen gelegen. Unter einer Brücke habe ich ein Zelt gesehen. Hier lebt einer von 55.656 (Anfang 2024 laut KI) wohnungslosen Menschen in Berlin, in Sichtweite vom Katharinenhof. “Residenz-Wohnen und Pflege mit Stil in Berlin. Leben in fantastischer Lage am Spandauer See” ist auf dessen Homepage zu lesen. Im “Uferparadies” ist eine 1-Zimmer-Wohnung inklusive zahlreicher Serviceleistungen ab 2.000, — € monatlich zu haben. Wie von selbst kommen unsere Gespräche auf die Sozialversicherungssysteme. Die Kosten für Gesundheit, Pflege und Rente werden nicht länger zu finanzieren sein. Dänemark hat das Renteneintrittsalter ab 2040 auf 70 Jahre erhöht, natürlich wird es dort Ausnahmen geben (müssen). Hierzulande scheuen sich die Politiker:innen von jeher, diese Probleme anzugehen; irgendwo drohen immer Wahlen. Am 14. September stehen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen an. Nicht nur bei der SPD geht in ihrer einstigen Hochburg die blanke Angst um.





