Draußen im Lande

Lost Place in Brandenburg: die Gutsanlage Gentzrode. © Karl Grünkopf

Pünktlich treffen wir in Netzeband ein. Der Ort liegt 100 km nordwestlich von Berlin. Wir sind dort zu einer großen Hochzeitsfeier eingeladen, die mit einem Workshop beginnt. Wir werden in Gruppen eingeteilt, lernen uns durch gegenseitiges Befragen kennen. Ein Sprecher stellt dann die Teilnehmer:innen der Festgemeinde vor. Natürlich kann ich mir bei weitem nicht alle Namen merken – die Hochzeitsgesellschaft besteht bestimmt aus 80 Gästen. Höhepunkt des sorgsam geplanten Programms ist eine Zeremonie im weitläufigen Garten. Der “Kemper Hof” eignet sich bestens für dieses Event, es gibt genug Platz, Angebote und Rückzugsräume. Damit liegen die aktuellen Betreiber der früheren “Märkischen Höfe” ganz im Trend. Sie haben sich von individuellen Gästen und Touristen verabschiedet und bieten ihren “Kemper Hof” nur noch im Gesamtpaket an – als Eventlocation. Diese Neuorientierung der Gastronomie nicht nur in Brandenburg wird die dörfliche Struktur weiter aushöhlen. In vielen Orten gibt es keine Gastwirtschaft mehr. Man kann dort nur noch wohnen. 

Zum Glück ist “Die Elsenhöhe” in Flecken Zechlin noch keine Event-Location. Direkt am Schwarzen See gelegen, bietet das Haus Ferienwohnungen an. In der Gemeinde leben 700 Menschen, es gibt es noch einen Bäcker, einen Supermarkt und eine Gärtnerei, aber schon lange keine nennenswerte Gastronomie mehr. Beim Friseur mit urbanen Preisen erkundige ich mich nach dem wuchtigen, mehrstöckigen Häuserriegel, in dem einst ein Hotel mit südafrikanischer Küche untergebracht war, und das schon seit Jahren leer steht. Da solle ein Flüchtlingsheim entstehen, gibt mir die Betreiberin des Salons zur Antwort. Es gebe allerdings noch Unstimmigkeiten zwischen dem Bürgermeister der Stadt Rheinsberg, der auch für Flecken Zechlin zuständig ist, und dem Landrat. Die Friseurin vermeidet eine Bewertung, aber es liegt auf der Hand, dass die Unterbringung von knapp 200 Flüchtlingen in einem so kleinen Dorf ein Problem darstellt. 

Von Freunden werden wir auf die Gutsanlage Gentzrode in der Nähe von Neuruppin aufmerksam gemacht, die als Baudenkmal von landesweiter Bedeutung gilt und bis 1991 von der Roten Armee genutzt wurde; seitdem steht das prächtige Haus leer und verfällt. Auf einem überwucherten Waldweg erreichen wir diesen lost place und sind fasziniert. Wie kam der preußisch-deutsche Unternehmer Ludwig Alexander Gentz darauf, in dieser gottverlassenen Gegend 1861 ein Herrenhaus nach maurischem Vorbild zu errichten? Die Geschichte des Gebäudes im Stil des orientalischen Historismus liest sich abenteuerlich und regt zu allerlei Spekulationen an. 2010 haben schließlich die türkischen Investoren Volkan Başeğmez und Bilgiç Ertürk Gut Gentzrode erworben; Gerüchten zu Folge wollen sie dort ein Luxus-Resort errichten (Wikipedia). Passiert ist allerdings seit Jahren nichts, und es steht zu befürchten, dass die Gutsanlage Gentzrode ein lost place bleibt und weiter verfällt. Ein Jammer!  

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