
Endlich sitzen wir wieder einmal im Kino! Das sollte man viel häufiger tun, denn die Zahl der Besucher:innen ist im ersten Halbjahr in Deutschland wieder zurückgegangen. Die vielen digitalen Alternativen machen es den Kinos schwer. Zumindest die Generation der Babyboomer weiß das Erlebnis noch zu schätzen, zumal wenn ein deutscher Film auf dem Programm steht, der bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet wurde. “In die Sonne schauen”, der zweite Spielfilm der Regisseurin Mascha Schilinski wurde in diesem Jahr mit dem Großen Preis der Jury geehrt und hierzulande als deutscher Beitrag für die Auslands-Oscars in Hollywood nominiert. Die Erwartungen des Publikums im ausverkauften Kino sind hoch, wenn man auch schon vorher wusste, dass Schilinski in zweieinhalb Stunden eine komplexe Geschichte ästhetisch sehr ambitioniert erzählen wird.
“In die Sonne schauen” beobachtet das Leben von vier Frauengenerationen über einen Zeitraum von hundert Jahren, ohne dabei chronologisch zu erzählen. Im Gegenteil, Mascha Schilinski wechselt wie in einem Traum die Zeit- und Erzählebenen. Die Bilder des Kameramanns Fabian Gamper sind oft in dunklen Tönen gehalten, passend dazu düstere, unheimliche Töne, manchmal sind die Texte und Zusammenhänge schwer zu verstehen. Die Geschichten spielen auf einem Vierseithof in Sachsen-Anhalt und werden durch eine Kontinuität der Frauen und Mädchen als Opfer männlicher Dominanz zusammengehalten. Was genau passiert ist, schimmert allenfalls durch, wie und warum sich die Traumata über die Generationen “vererben”, bleibt unklar. Diese Unschärfe entspricht sicherlich dem wahren Leben, kann aber nichts erklären. Mit zunehmender Dauer des Films verliert das ästhetische Konzept von Mascha Schilinski und ihrer Co-Autorin Louise Peter seinen Reiz. Zwar verlassen nur wenige Besucher vorzeitig die Aufführung, das Publikum nimmt den Film aber sehr verhalten auf. “Nichts wie raus hier”, meint eine Dame enttäuscht.
Sicherlich nimmt “In den Himmel schauen” die aktuelle Stimmung in der Bundesrepublik auf – die deutsche Lust an Mythen, Verdrängungen und Verschleierungen. Unheil dräut von allen Seiten, die Zukunft scheint unsicherer denn je, der Autoritarismus ist weltweit auf dem Vormarsch, Gesellschafts- und Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr. Die Generation Glück muss Abschied nehmen von der Illusion, es würde alles immer besser. Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx zitiert in seinem Essay “Die Welt ist aus den Fugen” Konfuzius und gibt uns mit auf den Weg: “Üben wir also für die nächste Zukunft: das Kleine im Großen schätzen. Das Bedrohliche anerkennen, aber ihm nicht dienen. Leichter werden. Durchlässiger. Das Gelingende wahrnehmen und verstärken. Ausweichen, wo es notwendig ist. Kämpfen, wo es Sinn ergibt. Die Widersprüche umarmen. Und dabei im Lächeln bleiben.” (Tagespiegel, 01.09.25) Um mit Hölderlin zum guten Schluss zu kommen: “Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.”
