
Erstaunlicherweise bleiben in der Astor Lounge am Berliner Ku’damm doch eine ganze Reihe von Plätzen leer. Immerhin startet der neue und letzte Film von Wolfgang Becker (†12.12.24): “Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße” in prominenter Besetzung. Zudem kam das Vermächtnis des Regisseurs, der mit “Goodbye Lenin” (6,4 Millionen Zuschauer) in Deutschland, aber auch international seinen größten Erfolg feierte, bei der Kritik sehr gut an. Meisterhaft und mit leichter Hand erzählt Becker die Geschichte eines Mannes, der nolens volens zum Medienstar wird, weil er eine Weiche am Bahnhof Friedrichstraße falsch gestellt hatte, sodass 127 DDR-Bürger plötzlich in den Westen gefahren wurden. Was von einem windigen Boulevard-Journalisten zu einem sorgsam geplanten Coup umgedeutet wird, war tatsächlich bloß ein Zufall. Charly Hübner verkörpert den verpeilten Videothekbesitzer, dessen Geschichte im Medienhype plötzlich neu konstruiert wird und der schließlich seine neue Identität einfach hinnimmt.
“Geschichte ist die Lüge, auf die sich alle geeinigt haben.” Diese zentrale These der Komödie gilt nicht nur für alle Figuren, dahinter verbirgt sich eine zutiefst pessimistische Geschichtsauffassung von Wolfgang Becker. Es gibt keine Wahrheit. Was wahr gewesen ist, kann falsch werden – trotzdem ist meine subjektive Erinnerung nicht falsch. Darauf weist die Schauspielerin Christiane Paul im Gespräch mit Christine Eichel im Anschluss hin. Im Film akzeptiert sie als Staatsanwältin Clara Kurz, dass der Videothekenbesitzer Micha Hartung gar nicht der Held ist, den sie sich gewünscht hat. Wie auch ein Dissident im Film ist sie nicht bereit, die schönen Erinnerungen an ihre Kindheit in der DDR zu verleugnen. Wenn man sich in deutschen Landen darauf verständigen könnte, wäre schon viel gewonnen. Es ist nicht mein Verdienst, dass ich in Einbeck, einer kleinen Stadt in Niedersachsen, geboren wurde und nicht in Wernigerode (Sachsen-Anhalt).
Genau besehen ist Wolfgang Beckers Geschichtsauffassung so pessimistisch nicht; er geht noch davon aus, man könne sich auf eine Lüge einigen. Das Gegenteil ist der Fall. Immer mehr fake news, alternative Fakten oder Verschwörungslegenden kursieren – es gibt nicht mehr eine Lüge, auf die sich alle verständigen, es gibt unzählige Lügen, die von Staatenlenkern wie Trump oder Putin verbreitet werden, ganz zu schweigen von den Sozialen Medien. Zumindest in den USA haben die Bürger:innen noch die Möglichkeit, die Lügen ihrer Regierung bei den Wahlen abzustrafen. Erstmals hat diese Woche mit Eileen Higgins eine Frau und Demokratin das Bürgermeisteramt in Miami, der zweitgrößten Stadt in Florida, gewonnen. Die Gouverneurswahlen in New Jersey und Virginia gewannen ebenfalls die Demokraten. Immer mehr Menschen bekommen zu spüren, dass die Trumpschen Strafzölle die Inflation in Amerika anheizen. Die letzten Wahlen belegen, dass die Einwohner:innen der USA langsam begreifen, dass der steinreiche Präsident und seine Tech-Oligarchen nicht ihre Interessen vertreten. God bless America!

