
Erinnerungen werden wach. Ich bin erkältet und habe mich trotzdem entschlossen, wie immer ins Weihnachtsoratorium zu gehen – zur Sicherheit allerdings erstmals wieder mit Maske. Es ist ungewohnt, die Brille beschlägt in der geheizten Kirche, das Atmen fällt schwer. Außer mir tragen höchstens zehn Besucher:innen einen Mund-Nasenschutz.Meine Vorsicht war angeraten: am nächsten Tag ist mein Test leicht positiv, obwohl ich insgesamt schon sechs Mal geimpft worden bin. Dass dieser Schutz nicht absolut ist, haben wir längst gelernt. Wir wissen auch, dass das Corona-Virus nie mehr verschwinden wird und immer neue Varianten bildet. Nach zwei Tagen bin ich schon wieder negativ, fühle mich aber noch angeschlagen. Anders als bei einer Erkältung hält dieser Zustand länger an, als würde das Virus höhnen, es nur ja nicht zu unterschätzen. Ich rufe mir meinen längst vergessenen Vorsatz ins Gedächtnis und werde wieder auf Händeschütteln und Umarmungen verzichten; eine leichte Verbeugung muss genügen.
Wie vor drei Jahren bleiben wir abends natürlich zu Hause und schauen manchmal Filme. Aus einem sehr traurigen Anlass stoßen wir auf “This is Spinal Tap” von Rob Reiner. Der Regisseur (“Harry und Sally”) und seine Frau Michele Singer wurden am 14. Dezember in ihrem Haus mutmaßlich von ihrem Sohn erstochen. Nick (32) hatte bereits als Jugendlicher schwere Drogenprobleme und soll sich mit seinem Vater vor der Tat auf einer Weihnachtsfeier heftig gestritten haben. In seiner Mockumentary aus dem Jahr 1989 erzählt Rob Reiner die Tour-Erlebnisse der fiktiven Rock-Band Spinal Tap und wirft einen freundlich-ironischen Blick auf das Musik-Business. Die Begeisterung eines Roger Ebert vermögen wir indes nicht zu teilen – für ihn ist “This is Spinal Tap” “einer der witzigsten Filme, die je gedreht wurden“ (Wikipedia). Über diese Mockumentary ist die Zeit hinweg gegangen, andere Filme von Rob Reiner, der als scharfer Kritiker Donald Trumps galt und von ihm noch posthum geschmäht wurde, werden bleiben.
Das Jahr geht langsam zu Ende. Zeit für Rückblicke und Bestandsaufnahmen. Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen, die wir nur bewältigen, wenn die Lage schonungslos analysiert wird, wie es etwa die Frankfurter Rundschau tut. “Das bisherige Geschäftsmodell der deutschen Wirtschaft funktioniert immer schlechter: billige Energie aus Russland, günstige Vorprodukte aus Ländern wie China im Tausch gegen teure Industriegüter, und das alles unter dem Sicherheitsschirm der USA. Im Hintergrund: der Klimawandel. Das Land bräuchte also ein echtes Update: Wie wollen wir wirtschaften, wie den Wohlstand verteilen? Vielleicht bieten die anstehenden Feiertage Zeit zur Besinnung.“ (17.12.25) Und ein wenig Hoffnung lässt sich aus Worten schöpfen, die Martin Luther einst gesagt haben soll: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
