Stillstand

Das Kinderkarussell steht schon still, derweil sich die Gäste in den Restaurants auf dem Frankfurter Opernplatz noch bestens amüsieren. © Rolf Hiller

An diesem Abend sind die Restaurants in der Frankfurter Fressgass‘ und auf dem Opernplatz noch gut besucht, nur das Kinderkarussell steht schon still. Nachmittags hatten die Kanzlerin & die Ministerpräsident*innen der Bundesländer beschlossen, das Leben im Lande wieder stillzulegen. Konzerthäuser, Theater, Museen müssen am Montag schließen, mögen die Hygiene-Konzepte auch noch so penibel sein, mögen die Veranstalter auch noch so stark betonen, niemand habe sich bis dato nachweislich bei ihnen angesteckt. 70% aller Neuinfektionen lassen sich nicht nachvollziehen, aber es musste etwas passieren; wieder hat es die Kultur erwischt. Ich schaue mir auf dem Opernplatz die Litfaßsäulen mit den Konzerten an, die im nächsten Monat alle nicht mehr stattfinden dürfen.

Drinnen wird das 51. Deutsche Jazzfestival eröffnet – mit nur einem (!) Konzert vor Publikum. Ich sitze bestens im Parkett, die Reihen haben einen größeren Abstand als sonst. Links neben mir sind neun Plätze frei, rechts vier – die Stimmung im Großen Saal ist gedämpft. Und Stimmung will auch während des einstündigen Auftritts des Trios von Django Bates mit der hr Bigband nicht aufkommen. Das Geburtstagsständchen für den genialen Altsaxophonisten Charlie Parker, der am 29. August 1920 geboren wurde, kann nie an dessen hypnotische Improvisationen anknüpfen. Ernsthaft möchte niemand noch mehr lauwarmen Kaffee haben – das Publikum verlässt rasch den Saal. Draußen ist das Kinderkarussell bereits eingepackt.

Tags drauf besuche ich die erste Messe in Frankfurt seit dem Ausbruch der Pandemie – und sicher die letzte in diesem Jahr. Die Macher*innen der discovery art fair haben wahnsinniges Glück gehabt mit ihrer sehenswerten Präsentation aktueller & bezahlbarer Kunst, die noch bis zum 1. November geht. Am nächsten Tag beginnt der Lockdown, der dieses Mal den Einzelhandel, Schulen und Kitas verschont. Die administrativ verfügten Maßnahmen werden kontrovers aufgenommen und diskutiert. „Warum“, fragt sich die SZ vom Tage, “muss eine Gaststätte mit einem Hygienekonzept schließen, der Friseursalon aber darf offen bleiben? Der FC Bayern darf Fußball spielen, die Amateure auf dem Dorf aber dürfen ihren Platz nicht mehr betreten? Und wieso ist ein geschlossenes Theater die Kompensation dafür, dass eine Schule offen bleibt?“ Und dann geht am 31. Oktober auch noch das Fernsehballett nach 58 Jahren in den Ruhestand. Zum Trost eröffnet am gleichen Tag der neue Berliner Großflughafen mit neunjähriger Verspätung. Dass der BER schon wieder frische Mittel braucht, überrascht niemanden mehr. Gute Reise durch die November-Tristesse!

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