Den letzten beißen die Hunde

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Nicht systemrelevant: ein Reisebüro hat dicht gemacht. © Karl Grünkopf

Oft bin ich an dem kleinen Reisebüro vorbeigelaufen; nun ist das „Babylon“ leer. Wieder ein Laden weniger in unserem Kiez. Daran werden wir uns gewöhnen müssen, auch daran, dass der stationäre Einzelhandel schrumpft. Selten sehe ich Kundschaft in den kleinen Boutiquen, die sich ihre Hinweise auf die erlaubte Anzahl der Kunden eigentlich sparen können – es kamen schon vor der C-Krise zu wenige. 3 Millionen Menschen arbeiten im Tourismus, die wenigsten sind systemrelevant wie die „Lufthansa“, die jetzt mit Milliarden vom Staat vor der Insolvenz gerettet werden soll.  Das „Babylon“ hat im letzten Jahr sicher keine Dividenden ausgeschüttet und dürfte auch keine Tochtergesellschaften auf den Cayman Islands unterhalten haben.

Restaurants haben bestimmt bessere Chancen als winzige Reisebüros, sofern sie sich an die strikten Vorgaben halten, die nach der Wiedereröffnung letzte Woche gelten. Wir sind gespannt und gehen das erste Mal nach zwei Monaten wieder essen. Zur Sicherheit habe ich vorher reserviert, denn früher hätte man an einem Feiertag keinen Platz bekommen. Das Lokal ist gut besucht, aber es hätte noch genug freie Plätze gegeben. Wir schreiben unsere Kontaktdaten auf – „wenn Sie möchten“. Ansonsten ist alles wie immer, nur dass fast alle Kellner Masken tragen, allerdings nicht im Gesicht, sondern unter dem Kinn: ein lustiges Bartlätzchen. Wir bestellen wie immer (!) und sind erstaunt, wie lässig in diesem Restaurant die C-Regeln interpretiert werden. Fahrlässig! „Das Leben mit Corona wird ein Leben mit dem Risiko werden“, schreibt die Süddeutsche Zeitung vom Tage. Das Essen war gut wie immer; wir werden dieses Restaurant dennoch erst einmal nicht mehr besuchen.

Einen zweiten Lockdown können wir uns nicht leisten. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHT) rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr um 10%. Es droht weltweit die schlimmste Rezession seit 1929; selbst Queen Elisabeth dürfte sich daran nicht mehr erinnern. In Zeiten wie diesen grassieren natürlich aberwitzige Phantasien. Gerade deutsche Rapper überbieten sich derzeit mit ihren Wahnvorstellungen. Von Tunnelsystemen bis New York geht die Rede, von „kinderbluttrinkenden Superreichen“ (Kollegah), von Zwangs-Impfungen mit Chip-Implantation, von lückenloser Kontrolle und Weltherrschaft. Das Netz eignet sich leider bestens dafür, noch jeden Unfug zu verbreiten. Krankzinnigheid. So heißt auf Niederländisch Wahnsinn.

4 Kommentare zu „Den letzten beißen die Hunde

  1. Danke, Erk, fuer alle deine interessanten Berichte, Ich bin immer froh, sie zu lesen. Ich hoffe, Ihr findet noch ein zuverlaessige Restaurant, aber ich denke etwas Risiko wird da immer bleiben. Wir koennen uns das schon lange gar nicht mehr leisten. So: enjoy!

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  2. Guter Artikel, habe mich vor einigen Tagen für BERILN LEUCHTET beworben, Ende September, da hoffe ich meine Lichtinstallation im Tiergarten draussen zeigen zu können, die eigentlich für die LUMINALE in Frankfurt gedacht war… Die Hoffnung das es draussen erlaubt sein wird lässt mich positiv blicken und in Raestaurants solte man wenns geht halt nur draussen sitzen, sicher ist sicher!

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  3. P.S. ach so, hatte ganz vergessen um was für eine Lichtinstallation (every breath you take) es sich handelt… wer möchte, schaut hier:

    Ich hatte leider nur einen Abend lang die Gelegenheit einen Film zu drehen und einige Aufnahmen zu machen.
     
    Mit dieser Installation wollte ich ursprünglich auf die Umwelt- und Klimaprobleme aufmerksam machen. In einer Art Kokon oder Käfig befindet sich die symbolische Darstellung einer Lunge. An den feinen Fäden der Umgrenzung haben sich Kügelchen geheftet, die als Chiffre für die Bedrohung des empfindlichen Organs gesehen werden können. Drumherum hatte ich einen Leuchtkranz gelegt, den der Zuschauer überschreiten muss, um den Kern des Werkes zu betrachten.
     
    Mit der Corona-Krise sind meine Überlegungen, mit denen ich das Werk konzipiert hatte, von anderen, stärkeren Gedanken überlagert worden. Es ist nun kaum noch möglich, die Installation ohne den konkreten Bezug auf Covid-19 zu sehen bzw. zu verstehen. Und ich finde, dass mein Werk in diesem aktuellen Kontext ebenso viel Berechtigung hat, wie in dem ursprünglichen. Jedes Kunstwerk entwickelt seine eigentliche Bedeutung im Bezug zu seinen Betrachtern. Die Perspektive kann sich ändern. In diesem Fall tat sie es überraschend schnell und eindeutig.
    Grüße von Johannes
    http://www.johannes-kriesche.de

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