Bestellfehler

Endloser, fast menschenleerer Strand in Graal-Müritz. © Gitti Grünkopf

Wer kennt diese Nachricht in Zeiten des Online-Handels nicht: Ihr Paket wurde bei Ihrem Nachbarn abgegeben. Ich renne runter zum Briefkasten und finde wieder keine Benachrichtigung vor. Also erneut dem Kundendienst von Amazon eine Mail geschrieben, die sofort aus England anrufen. Das Paket sei abgegeben worden, bei einem Nachbarn, dessen Name ich noch nie gehört habe. Ich poltere los: das hat doch schon beim letzten Mal nicht geklappt. Die freundliche Amazone buchstabiert mir zweimal, wer meine Sendung entgegengenommen habe. Ich summe die Melodie der Krimiserie „Der Kommissar“ und mache mich an die Ermittlungen. Ein paar Hausnummern weiter soll die Sendung angekommen sein. Tatsächlich finde ich dort im Parterre den Empfängernamen, und tatsächlich wohnt dort eine Frau, die den gleichen Nachnamen trägt wie ich. Wie konnte das nur passieren? Ich hatte die falsche Hausnummer bei der Bestellung angegeben und rufe sofort bei Amazon an, um mich zu entschuldigen.

„Menschen machen Fehler, Fehler machen Menschen“, tröstet uns der Aphoristiker Erhard Horst Bellermann. Und manchmal hat ein Fehler ja auch sein Gutes. Wir wollten am Wochenende an die See fahren und warteten mit der Buchung der Unterkunft bis zum allerletzten Moment. Wer weiß in diesen Tagen schon, ob er wirklich gesund bleibt und die Reise auch antreten kann. Schließlich hatten wir gerade erst vor einigen Wochen einen kompletten Strandurlaub bezahlt, ohne je ans Ziel gekommen zu sein. Also setzten wir diesmal auf last minute – und verloren. Aber, wie der Zufall so spielt, landet eine Mail von Travelzoo im Posteingang und bietet uns eine Unterkunft in Graal-Müritz an. Gecheckt, gebucht. Das Hotel liegt direkt hinter der Düne, zum herrlichen Ostsee-Strand sind es nur ein paar Schritte. Im Sommer muss hier der Teufel los sein, aber jetzt sind nur wenige Häuser für Gäste geöffnet. Wir genießen die langen Spaziergänge am endlosen Strand und nehmen am Ende noch ein paar Pullen der „Männerhobby Brennerei“ mit. Wir kommen wieder.

Ob Kanzler Scholz mit seinem Zaudern & Zögern Fehler macht, wird sich weisen. Sein kerniger Satz „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“ wird immer mehr zur hohlen Phrase. Dass wohl Christine Lambrecht selbst ihren Rücktritt vom Amt der Verteidigungsministerin an die ungeliebten Medien durchstach, passt ins Bild; ebenso die Klärung einer Nachfolge auf den letzten Drücker. Boris Pistorius, der neue Mann (!) im Amt und zuvor 10 Jahre niedersächsischer Innenminister, hat sich von Scholz ins kalte Wasser werfen lassen. Er muss nun den NATO-Partnern deutlich machen, dass sich Deutschland in Europa als „Führungsmacht“ versteht, wie sein Parteikollege Nils Schmid jüngst schwadronierte. „Welche unserer transatlantischen Partner“, fragte die Publizistin Stefanie Babel im Tagesspiegel, „will Deutschland denn auf Grundlage welcher Vision und mit welchen Fähigkeiten anführen.“ (12.01.23) Durch die Lieferung von Kampfpanzern wird sich diese Frage nicht erübrigen.

Zurück zur Normalität

Normal ist das nicht, wie die Italienerin Sheyen Caroli sich verbiegen kann. © OVAG-Varieté 2023

Die großen Shows sind wieder da, und das Publikum kommt zurück. Vor der Mercedes-Benz-Arena in Berlin gibt es mehrere Schlangen – alle wollen „Geheimnis der Ewigkeit“ erleben. So heißt das neue Programm von Cavalluna, der größten Pferdeshow Europas, wie die Veranstalter verkünden. Knapp 22.000 Besucher:innen wollten die vier Shows sehen – weniger als vor der Pandemie, aber doch ein guter Neustart in die Normalität. Die Nummern der Pferdeartist:innen waren teils atemberaubend, die Story hanebüchen, die Texte hölzern. Dem Spaß tat das aber keinen Abbruch, und natürlich kommen wir nach der Show mit den Kids nicht am Merchandising-Stand vorbei. Im nächsten Jahr geht‘s weiter. 2024 will uns Cavalluna ins „Land der Träume“ mitnehmen…

Nach der Show ist vor der Show. Nach drei Jahren Pause gibt es endlich wieder das spektakuläre OVAG-Varieté in Bad Nauheim, und natürlich kann man sich auf der Homepage schon auf das Programm 2024 freuen. Logistisch ist das für die Veranstalter eine besondere Herausforderung; galt es doch, die nicht zurückgegebenen Tickets der Jahre 2021 und 2022 zu berücksichtigen. Das Programm beginnt poetisch-spektakulär mit den Catwall Acrobats aus Kanada, die auf meterhohen Schwingen sanft über die Bühne gleiten. Wieder ist es Andreas Matlé, dem Spiritus rector des OVAG-Varieté, und seiner Mitarbeiterin Anne Laumann gelungen, eine erstklassige Show zusammenzustellen, die immer wieder mit Überraschungen wie Magus Utopia (sie bringen einen Albtraum auf die Bühne) oder der mongolischen Troupe Khadgaa mit ihren unglaublichen menschlichen Pyramiden begeistert. Varieté-trunken verlassen wir nach 23h das Dolce-Theater und sind noch gar nicht in der Lage, die vielen Eindrücke wieder auseinanderzuhalten.

Im nächsten Jahr feiert das OVAG-Varieté seinen 20. Geburtstag, dann dürfte die Maskenpflicht in Deutschland – bis auf Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime vielleicht – Geschichte sein; Corona wird endemisch und zu unserem Leben gehören wie die Grippe in der dunklen Jahreszeit. Masken habe ich in den beiden Shows nur eine Handvoll gezählt; gegen meine Absicht ließ auch ich den Mund-Nasen-Schutz stecken – und liege damit im Trend. Die Maskenpflicht im ÖPNV endet nun auch in den letzten Bundesländern am 2. Februar. Und ab diesem Tag darf man/frau dann ebenfalls im Fernverkehr der Deutschen Bahn wieder ohne reisen. Ende gut, alles? Die Folgen der Pandemie lassen sich derzeit noch gar nicht abschätzen.

Fehlstart

Mit Angriffen auf Einsatzkräfte begann das Jahr 2023 in Deutschland. © Peggy und Marco Lachmann-Anke / Pixabay

Natürlich wollten wir 2023 gebührend begrüßen, doch am letzten Tag des alten Jahres waren in drei Läden die Wunderkerzen ausverkauft. Pech hatte ich auch mit meinem Vorhaben, noch ein letztes Telegramm aufzugeben. Die Deutsche Post hatte diesen kostspieligen Service für Anachronisten schon eingestellt. Dafür konnte ich wenigstens noch bei atmosfair unsere Flüge nach Indien kompensieren. Verbraucht hat jeder von uns 5.367 kg CO₂. Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen beträgt 1.500 kg, die Pro-Kopf-Emission in Äthiopien 560 kg. Mit dem Kompensationsbetrag von knapp 250 Euro werden Klimaschutzprojekte unterstützt, und wir tun etwas für unser notorisch schlechtes Klimagewissen. Zumindest haben wir nicht die immense Feinstaub-Belastung an Silvester erhöht. Das wäre neben den Ausschreitungen in dieser Nacht ein Grund, die Böllerei – wie in den beiden letzen Jahren – für immer zu verbieten.

Neben den Krawallen sorgte ein kurzes Video der Bundesverteidigungsministerin auf Instagram für erhebliche Irritation. Nicht nur die Tageszeitung, mit der ich groß wurde, ist fassungslos. „Da steht Christine Lambrecht in der Silvesternacht an einer Straße in Berlin und sagt in den Lärm von Böllern und Raketen hinein die Sätze: ‚Mitten in Europa tobt ein Krieg. Damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen‘. Lambrechts Silvestervideo ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Mit ihrem publizistischen Blackout hat die Sozialdemokratin ihr Amt und das Land, das sie vertritt, der Lächerlichkeit preisgegeben. Wird sie das politisch überleben?“ (Mainzer Allgemeine Zeitung, 03.01.23) You are never private! Zumindest das sollte einer „Quotenfrau“ (Lambrecht über Lambrecht) in jeder Situation bewusst sein.

Ob der Kanzler seine Verteidigungsministerin entlässt, steht dahin. Der vergessliche Olaf Scholz hat genug andere Probleme, um jetzt schon ein Revirement in seinem Kabinett vorzunehmen, mit dessen Arbeit dem aktuellen ARD- DeutschlandTrend zu Folge nur noch ein Drittel der Deutschen zufrieden ist. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass die Innenministerin Nancy Faeser demnächst ihr Amt aufgibt, um als Spitzenkandidatin der SPD bei der hessischen Landtagswahl im Herbst anzutreten. Ihr würde Christine Lambrecht folgen. Um die Quotenarithmetik der Regierung zu erhalten, müsste Scholz dann wieder eine Frau finden, die das ungeliebte Amt im Verteidigungsministerium übernimmt. Ganz andere Probleme hat dagegen Amerika, wie die Wahl eines neuen Speakers des Repräsentantenhaus auf abschreckend Weise zeigt. 1855 brauchte es 133 Wahlgänge! Sechs Jahre später begann der Bürgerkrieg.

Alles hat seine Zeit

© Gerd Altmann / pixabay

Die Letzten werden die Letzten bleiben. Mit einer Pünktlichkeitsquote von 63 % nimmt die Deutsche Bahn in diesem Jahr im europäischen Vergleich den letzten Platz ein, den sie 2023 bestimmt halten wird. Es gibt einen gewaltigen Sanierungsstau im Netz, es fehlt an Loks und Waggons. Jede Reise ist immer ein Abenteuer – man weiß nie, was passiert. Fest steht nur die Maskenpflicht in allen Fernzügen, die dort bekanntlich erst im Sommer 2020 nach langen Diskussionen eingeführt wurde. Wie lange diese Maskenbastion hält, wird sich weisen, da selbst Christian Drosten, Deutschlands bekanntester Virologe, das Ende der Corona-Pandemie hierzulande kommen sieht. Nun soll alles ganz schnell gehen; wieder gibt es das übliche föderale Durcheinander. In einigen Bundesländern ist die Maskenpflicht im ÖPNV schon abgeschafft, andere handeln angesichts eines extrem hohen Krankenstands und einer damit einhergehenden Überlastung des Gesundheitssystems vorsichtiger.

Personifiziert werden die Positionen durch den ewigen Mahner & Warner Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann von der FDP, der forsch die Aufhebung aller Beschränkungen fordert, nicht zuletzt, um die schlechten Quoten der Liberalen aufzubessern. Dass die Kehrtwende der chinesischen Corona-Politik Folgen für Europa haben könnte, sei einmal hintangestellt. Ein klares Wort vom Zauderkanzler wäre angebracht, wie der Weser-Kurier aus Bremen mit deutlichen Worten anmahnt: „Da drängt sich die Frage auf: Was macht Olaf Scholz (SPD) eigentlich beruflich? Der Kanzler täte gut daran, für die auslaufenden Schutzmaßnahmen eine klare Linie vorzugeben. Ja, über die Maskenpflicht im ÖPNV und über die Isolationsregeln entscheiden die Länder selbst. Dennoch sollte es der mächtigste Mann in Deutschland nicht den Landesfürsten überlassen, die Pandemie für beendet zu erklären.“ (28.12.2022)

Oder verdrängt Olaf Scholz, wie wichtig es gerade in Krisenzeiten ist, als Kanzler klare Kante zu zeigen. Allenthalben höre ich, dass viele Menschen den endlos schlechten Nachrichten nicht gewachsen sind – und bewusst abschalten. In einer Weihnachtspost, die wir immer noch zum Glück (!) im Briefkasten finden, wurde diese Strategie trefflich auf den Punkt gebracht. Frohe Weihnachten seien in diesem Jahr eigentlich nur möglich, „wenn wir keine Nachrichten aufnehmen und verdrängen, was wir wissen.“ Zum guten Schluss noch eine bedauerliche Info für Nostalgiker analoger Zeiten. Die Deutsche Post stellt morgen ihren Telegrammdienst ein, weil dieser Service kaum mehr gefragt ist. Natürlich sind digitale Nachrichten schneller und viel billiger, aber Telegramme waren immer etwas Besonderes. Eines werde ich bestimmt noch schreiben…

Ausgepowert

Pumas gelten als sehr beweglich und kräftig. © Ulises Flores/ pixabay

Sind wir nicht alle ein bisschen Bundeswehr? Wir pfeifen auf dem letzten Loch. Die immer neuen Krisen haben bei vielen Menschen Spuren hinterlassen: Corona, der Ukrainekrieg, Rohstoffmangel, Inflation. Die Sorge um die Zukunft steht vielen ins Gesicht geschrieben, der Krankenstand in Deutschland ist so hoch wie nie zuvor. Viele Post-Covid-Patienten, die sich noch Monate nach der akuten Infektion mit den Folgen herumschlagen müssen, sind dabei sicherlich gar nicht erfasst. Auf der Gass‘ treffe ich einen glühenden Fan der Frankfurter Eintracht. Er hat sich beim Finale der Europa League im Mai angesteckt und klagt über Schmerzen in der Brust und Rhythmusstörungen. Die Zahl der Krankheitstage wegen psychischer Überlastung stieg im letzten Jahr in Deutschland auf 126 Millionen Arbeitstage. Ein neuer Rekord.

Als Politiker:in braucht man in Zeiten wie diesen ein extrem dickes Fell und eine robuste Gesundheit, das gilt insbesondere für die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die sich mit dem strukturellen Chaos bei der Bundeswehr herumschlagen muss. Bei einer Übung fielen bekanntlich alle 18 Pumas aus, die als teuerste Schützenpanzer der Welt gelten, weil sie aberwitzige Anforderungen erfüllen sollten. „Die Überfrachtung des Puma mit tausend speziellen Anforderungen wurde weder vom Ministerium noch von der Industrie rechtzeitig thematisiert und gestoppt.“ Darauf hat Hans-Peter Bartels, der ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, im „Tagesspiegel“ (20.12.2022) hingewiesen. „Die Feinstaubwerte im hinteren Teil (sollten) so niedrig sein, dass sich auch Schwangere dort aufhalten können.“ Geht’s noch! Das ist bundesrepublikanische Realsatire der bittersten Sorte.

Sollte es hierzulande einmal einen Verteidigungsfall geben, wären wir ohne die NATO und vor allem ohne die Amerikaner aufgeschmissen. Das weiß auch ein wahrer Puma wie Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainische Präsident ist sich darüber im Klaren, auf wen er sich (noch) verlassen kann und besuchte in einer spektakulären Aktion den amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Mit der Übernahme der Mehrheit im Repräsentantenhaus durch die Republikaner am 3. Januar verschieben sich die Machtverhältnisse in den Vereinigten Staaten. Das könnte Auswirkungen auf die Unterstützung der Ukraine haben, wenn „America First“ wieder die Oberhand bekommt. Ohne die amerikanische Hilfe hätte die ukrainische Bevölkerung niemals dem russischen Angriffskrieg seit dem 24. Februar widerstehen können. Weihnachten ist auch ein Fest der Hoffnung!

Rettung

Rund um die Uhr im Einsatz. © Rolf Hiller

Es fehlt bei der medizinischen Versorgung in deutschen Landen an allen Ecken und Enden: zu wenig Personal, zu wenig Betten, zu wenig Medikamente, zu wenig Rettungsfahrzeuge. Apotheken klagen seit Jahren, dass selbst einfache Arzneien wie Fiebersaft nicht mehr ausreichend verfügbar seien. Insgesamt fehlten derzeit hunderte Arzneien; teure Mittel gegen Krebs gebe es hingegen genug. Was tun? Kurzfristig gibt es keine Chance, die notwendigsten Medikamente wieder in Deutschland herzustellen. Wir sind weiter auf komplizierte Lieferketten angewiesen. Indien gilt mittlerweile als „Apotheke der Welt“; viele Vorprodukte kommen aus China und anderen asiatischen Ländern. Wer krank ist, braucht eine robuste Natur, gute Nerven und eine:n Mentor:in – sonst hat man es im deutschen Gesundheitssystem, das zu den teuersten der Welt zählt, nicht leicht.

Nicht auszudenken, wie die Lage in der Ukraine ist. Dort wird bei Notstrom operiert, dort haben die Menschen nur stundenweise Heizung und Wasser. Wie lange können sie der systematischen Zerstörung ihrer Infrastruktur durch russische Raketen und Kamikaze-Drohnen, hergestellt im Iran, noch standhalten? Wird es eine neue Flüchtlingswelle geben? Wären wir darauf vorbereitet? Darf man sich in Zeiten wie diesen an dem Weihnachtsoratorium von Bach freuen? Wir brauchen solche Freuden, um wieder aufzutanken, und hören das „WO“ zum ersten Mal seit drei Jahren wieder in einer Kirche. Am nächsten Tag „tanken“ wir weiter. Wir sind zu einem Hauskonzert eingeladen, bei dem Stephen Waarts (Violine) und Yannick Rafalimanana (Klavier) ein exquisites Programm auf allerhöchstem Niveau spielen. Die beiden Künstler haben wir in Kreisau beim sommerlichen Kammermusikfestival kennengelernt. Natürlich treffen wir an diesem Berliner Abend viele Freund:innen von Krzyżowa Music. Herzerwärmend und so wichtig in diesen Tagen!

Mit vollem Tank & guter Stimmung in eine neue Arbeitswoche. Wir versuchen wie alle, die wir kennen, Energie zu sparen, und heizen nur noch Räume, in denen wir uns gerade aufhalten. Am Rechner sitze ich in eine Decke gehüllt. Niemand weiß derzeit, was der vom Kanzler verkündete Doppel-Wumms genau kosten wird. Teuer wird es für den Staat wieder einmal; dieses Hilfspaket soll ungefähr 60 Milliarden Euro kosten. 80% der letzen Abrechnung für Gas und Strom bekomme man zum gleichen Preis wie im letzten Jahr. Trösten mag eine Meldung aus Amerika. Dort ist es erstmals gelungen, bei einer Kernfusion mehr Energie zu erzeugen als man benötigt, um diesen Prozess in Gang zu setzen. So könnte klimaneutral und sicher quasi unbegrenzt Energie erzeugt werden. Das wird indes noch Jahrzehnte dauern. Zu spät, um die Klimaerwärmung noch zu stoppen. Leider!

Platz ist knapp

Nachts im Leipziger Hauptbahnhof: Martina Gedeck in „Die stillen Trabanten“. © 2022 Sommerhaus Filmproduktion / Warner Bros. Entertainment GmbH

Glück gehabt! Anders als erwartet, ergattern wir die letzten beiden Plätze in der Nachmittagsvorstellung. Very best agers (Maskenanteil ungefähr 10%) wollen sich „Die stillen Trabanten“ anschauen, der am Wochenende gestartet ist. Der Episodenfilm ist glänzend besetzt, aber Martina Gedeck, Nastassja Kinski oder Albrecht Schuch können die Geschichten nicht mit Leben füllen. Niemals erreicht die neue Kooperation von Thomas Stuber (Regie) und Clemens Meyer (Buch) die Dichte und Wucht, die „In den Gängen“ von 2018 auszeichnete. „Die stillen Trabanten“ werden lang und immer länger, die Episoden breit ausgewalzt: eine lesbische Annäherung, die heimlichen Begegnungen einer zum Islam konvertierten, jungen Frau mit einem Grillbudenbesitzer, die Treffen eines Security-Mitarbeiters mit einem jungen Mädchen aus der Ukraine. Keine Geschichte überzeugt, „Die stillen Trabanten“ sind zu gut für diese Welt. „Sozialkitsch“, meint eine Besucherin beim Verlassen des Kinos.

Die brutale Kälte findet gerade in den Kinderkliniken statt, die eine enorme Infektionswelle mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) nicht mehr bewältigen können. Erschütternd stellt Michael Sasse, Leitender Oberarzt der Kinderintensivmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, fest: „Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr versorgen können.“ Wohin ein kapitalistisch ausgerichtetes Gesundheitssystem geführt hat, ist nicht nur dem Fachminister Karl Lauterbach klar. Neulich erzählte mir ein Bekannter, dessen Frau als Ärztin arbeitet, in ihrer Klinik habe man an einem todgeweihten Patienten noch eine OP durchgeführt und ihn weitere 48 Stunden am Leben gehalten – um diese „Leistung“ abrechnen zu können. Dass die Fallpauschale fallen muss, liegt auf der Hand; dass es dauern wird in deutschen Landen, dürfte niemanden überraschen. Denn für die Krankenhausversorgung sind die Länder zuständig.

Der deutsche Föderalismus feierte gerade bei der Corona-Pandemie, die ja noch längst nicht vorbei ist, wieder einmal fröhliche Urständ‘. Sachsen-Anhalt hat die FFP2-Maskenpflicht im Nahverkehr bereits abgeschafft, morgen folgt Bayern, wo einst der Söder Markus den entschiedenen Corona-Hardliner gab. Dafür besteht im Fernverkehr der Deutschen Bahn weiter „eine gesetzliche Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske“, wie regelmäßig durchgesagt wird. Und das ist auch gut so. Bei meiner letzten Fahrt in dieser Woche war der ICE rappelvoll; viele Fahrgäste mussten stehen oder hockten auf dem Boden. Ein Vorgeschmack auf das Deutschland-Ticket für 49 Euro, das irgendwann im nächsten Jahr eingeführt wird. Das Netz muss dringend saniert werden, und mehr Züge wird es auch nicht geben. Gute Reise!

Was ist normal?

Trouvaille am Wegesrand. © Gitti Grünkopf

Mit Staunen einen Beitrag aus dem März 2020 gelesen: „Ein Buch im Park zu lesen, ist indes verboten.“ In der ersten Welle der Pandemie lagen die Nerven blank, und viele Corona-Hardliner unter den deutschen Politiker:innen hätten sicher gerne die Null-Covid-Strategie aus China übernommen. Inzwischen ist längst bekannt, dass man einen Staat digital-total kontrollieren kann, nicht aber ein Virus. Unbeirrbar zieht dennoch Kaiser Xi Jinping mit der ihm ergebenen KP diesen Kurs weiter durch. Nur selten erfährt man von Mutigen, die einen VPN-Zugang haben und sich am staatlich kontrollierten Internet vorbei über andere Kanäle melden können oder Leib und Leben durch Protestaktionen mit einem weißen Blatt riskieren. So erfuhr die Welt, dass zehn Menschen bei einem Brand in einem Hochhaus ums Leben kamen, in dem sie wegen Corona eingesperrt waren. „Die Führung in Peking“, notierte die Presse aus Wien, „steht möglicherweise vor ihrer bisher größten Krise. Xi bleibt nur eine Reihe schlechter Optionen. Gesteht er Fehler in seiner strikten Null-Covid-Politik ein, würde ihm das als Schwäche ausgelegt. Eine brutale Niederschlagung der Proteste dagegen würde die Wut der Menschen wahrscheinlich nur noch mehr entfachen.“ (29.11.22)

Bond. James Bond kann da auch nichts mehr ausrichten; immerhin sind die Filme bestens geeignet, sich für zwei Stunden aus der Realität zu beamen. Als Abschluss von „Incredible India“ schauen wir uns „Octopussy“ mit Roger Moore an, der zum Teil in Udaipur spielt. Die Handlung tut nichts zur Sache. Bond kennt weder Dengue noch Jetlag oder hat Probleme mit der Schwerkraft. Mal wieder in ein richtiges Kino wäre aber auch klasse! Es muss ja nicht der Animationsfilm „Strange World“ von Disney sein, dessen Produktion mit 180 Millionen Dollar zu Buche schlug. Laut Media Control wollten ihn in der ersten Woche in Deutschland lediglich 61.686 Besucher:innen in 681 Sälen sehen. Grob geschätzt haben die Top 12 der letzten Woche in ganz Deutschland nur knapp ½ Million Menschen angelockt. Nicht bloß diese Branche steht vor großen Herausforderungen!

Ein Bond-Girl ist es nicht, aber eine höchst beeindruckende, würdevolle Frau, die da im Wasser steht, als wir einen Spaziergang um die Krumme Lanke in Berlin machen. Wir trauen unseren Augen nicht. Erst steht sie eine Weile regungslos im eisekalten Wasser, dann geht sie ganz langsam hinein, schwimmt einige Stöße, um dann gemächlich wieder aus dem See zu steigen. Den Rekonvaleszenten fröstelt es schon vom Zuschauen. Dass irgendjemand am Wegesrand das Buch „Jacques der Fatalist und sein Herr“ von Denis Diderot hingelegt hat, rundet diesen ungewöhnlichen Spaziergang ab. Normal ist das nicht. Dafür müssen wir uns wohl daran gewöhnen, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft nicht mehr erste Sahne ist. Bereits zum zweiten Mal hintereinander ist das Team in der Gruppenphase einer WM ausgeschieden. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. „Verflickste Katarstrophe“ titelte die B.Z.

Dengue Demut

Der Bär vor der Deutschen Botschaft in Delhi strahlt Gelassenheit & Zuversicht aus. © Karl Grünkopf

Am 11. November bekam ich das Denguefieber mit Schüttelfrost und Temperaturen über 40 Grad. Über zwei Tage fieberte und dämmerte ich vor mich hin, unfähig, irgendetwas zu machen. Zum Glück! Denn sonst hätte ich mit ein paar clicks im Netz gelesen, dass diese Virusinfektion mit sehr starken Kopf- und Gliederschmerzen einhergehen kann – deshalb wird diese Krankheit auch Knochenbrecherfieber genannt. Die Rückreise mit dieser Symptomatik wäre ein Albtraum geworden. Ohnehin wird der Flug eine Tortur, obwohl unsere Auslandskrankenversicherung das Upgrade in die Businessklasse nach etwas mühevollen Verhandlungen übernommen hat. 17,5 Stunden wird die Reise von Haus zu Haus dauern. Zum Glück habe ich mir nicht ausgemalt, welche Strapazen da auf mich zukommen, obwohl alles reibungslos lief. Nichtwissen kann manchmal entlasten! Es gibt eine Gnade der Naivität.

Allerdings war es reichlich naiv anzunehmen, dass Dengue nach 14 Tagen schon überstanden ist; es kann mehrere Wochen dauern, bis man wieder auf dem Damm ist. Immer wieder steigt die Temperatur, wenn ich mich an den Schreibtisch setze oder konzentriert im Liegen arbeite. Ich habe 5 Kilo abgenommen, bin kälteempfindlich, der Jetlag wirkt nach. Jeder Krankheitsverlauf ist anders. Hatte ich auf die Einschätzung des Arztes der Deutschen Botschaft in Delhi gehofft, ich müsse mich in der zweiten Woche nur noch ein bisschen schonen, so muss ich nun akzeptieren, dass ich noch längst nicht durch bin mit diesem indischen Andenken. So habe ich mittlerweile eine Dengue Demut entwickelt, habe erkannt, dass ich dieser Krankheit ihre Zeit lassen muss. Erzwingen lässt sich eine schnelle Genesung nicht. Inzwischen bin ich sehr dankbar, dass Dengue mich nicht voll erwischt hat, dass meine Einschränkungen gut auszuhalten sind. Warum ich? Ich hadere schon längst nicht mehr.

Dengue hatte mich die letzen beiden Wochen fast vollständig absorbiert. Nur mit großer Mühe habe ich meinen Job gemacht. Es war furchtbar anstrengend, ausgelaugt & schlapp die Weihnachtsausgabe zu planen, das normale Business zu erledigen und die Weichen für 2023 zu stellen. Für die Lektüre der Zeitung und fürs Radiohören fehlte die Kraft. Nach meiner Absenz sind die Nachrichten weiter bedrückend. 9 Monate dauert nun schon der Krieg in der Ukraine, und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie die Menschen dort das Leben aushalten, wie sie immer wieder die Infrastruktur reparieren, die russische Bomben und Raketen zerstören. Der geschundenen Ukraine droht der schlimmste Winter seit 1945! Während ich komfortabel meine Infektion auskuriere, herrscht in Europa Krieg. Verhandlungen über ein Endes des Wahnsinns sind nicht in Sicht. Es ist zum Verzweifeln!

Indian Fever

Lautlos, klein und gefährlich: die Denguemücke. © James Gathany

Als Glühwurm erwacht – 39,6 Fieber. Plötzlich ist alles ganz anders. Die Weiterreise nach Goa können wir knicken, auf ein paar Tage Erholung am Meer hatten wir uns so gefreut. Stattdessen müssen wir im Hotel in Jodhpur bleiben; die nächsten beiden Tage dämmere ich hoch fiebernd im Bett. Die Krankheit, deren Namen ich noch nicht kenne, hat mich voll im Griff. Soll ich ins Krankenhaus gehen, wo auch die Royal Family des Ortes behandelt wird? Ich versuche es erst einmal mit Paracetamol, das auch der herbeigerufene Arzt verschreibt. Unser Plan ist, am Montag zurück nach Delhi zu fliegen und dann dann gleich zum Arzt der Deutschen Botschaft zu fahren, was sich als die richtige Entscheidung herausstellen wird. Keine Probleme mit dem Flug, wo übrigens eine strikte Maskenpflicht gilt. Ansonsten spielt der Mund-Nasen-Schutz keine Rolle mehr im indischen Alltag. Die Pandemie scheint längst vergessen.

Nach der Ankunft in Delhi geht es gleich weiter zur Deutschen Botschaft. Wir kommen sofort dran. Der Arzt untersucht mich und nimmt Blut ab. Kurze Zeit später kommt er mit dem Resultat aus dem Labor: „Es ist Dengue“. Ruhig erklärt er, was in mir abläuft und wie es weitergehen wird. Nach 5 – 7 Tagen geht das Fieber zurück, dann mindestens nochmal so lange dauert die vollständige Genesung. Viel trinken und liegen sind seine Empfehlung; eine Einweisung ins Krankenhaus ist nicht notwendig. Sinnvollerweise hätte ich mich mit diesem Virus vertraut machen sollen. Indien ist Hochrisikogebiet. „Bei Denguefieber handelt es sich um die sich am schnellsten ausbreitende virale von Stechmücken übertragene Krankheit; die Fallzahlen haben sich von 1960 bis 2010 verdreißigfacht.“ (Wikipedia) Mit dieser Infektionskrankheit steckten sich 2013 fast 390 Millionen Menschen an, schätzte die Zeitschrift „Nature“.

Ich bin also nicht allein und zudem in den allerbesten Händen. Die Tage verlaufen im Gleichmaß. Waren die ersten zwei Wochen der Reise prall gefüllt mit Eindrücken und Erlebnissen, herrscht jetzt ein Stillstand des Immergleichen. Trotzdem geht die Zeit voran. Wir besuchen noch einmal den Botschaftsarzt. Er ist mit dem Verlauf meiner Genesung zufrieden. „Dann kommt der Ausschlag, d.h. der Körper hat gesiegt.“ Ich beklage, dass ich von drei Wochen Indien eine im Bett verbringen musste. „Dafür haben Sie Denguefieber gehabt“, tröstet mich der lebenskluge Botschaftsarzt. So kann man es auch wenden. Er hat viel von Indien verstanden. Um diese Erfahrung reicher, muss ich mich in Geduld üben. Ich habe kein Fieber mehr und insgesamt einen milden Verlauf des Denguefiebers erlebt. Die Genesung wird aber noch dauern. Die Reise der zwei Geschwindigkeiten geht zu Ende.