Vergangenheit vergeht nicht

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Fund im Reichsbahnbunker: Karten zum Jubiläum 500 Jahre Post (1990). Wer steckt dahinter?

Kassel war einmal die größte Fachwerkstadt Europas – bis zum 22. Oktober 1943. Bei einem Bombenangriff der Alliierten wurden in der Nacht 80% aller Wohnhäuser zerstört; über 10.000 Menschen starben. Weil fast nichts mehr übrig geblieben ist von dieser schönen Stadt, muss man nach der Vergangenheit unter Tage forschen. Das Team von FRIZZ Kassel steigt in die Tiefe: in den Reichsbahnbunker, wo ich überraschenderweise auf Jubiläumskarten „500 Jahre Post“ stoße, in den Felsenkeller Roßteuscher und in den Luftschutzstollen Viktoriabunker. Dort versteckte sich vor den Luftangriffen der vierjährige Frank mit seinen Eltern. Der kleine „Rank“ lebt noch, aber er will nie mehr an diesen Ort des Schreckens zurückkehren, wie uns die kundigen Begleiter – das Wort Führer möchte ich nicht benutzen – erläutern. 530 Menschen fanden Platz im Stollen; die jüdischen Zwangsarbeiterinnen durften nur die Trockenklos entleeren. Nachdenklich steigen wir wieder hinauf in unser Leben, das Krieg nur vom Hörensagen kennt. 40% aller Jugendlichen wissen nicht, was in Auschwitz geschehen ist.

Jugendliche treffe ich nicht bei einer eindrucksvollen Lesung von Monika Held in der Frankfurter „Fabrik“. Die Schriftstellerin, die lange als Journalistin gearbeitet hat, liest aus ihrem Bestseller „Der Schrecken verliert sich vor Ort“, in dem sie das Leben von Hermann Reineck literarisiert hat; sie war eng mit ihm befreundet. Er wäre am 9. Januar 100 Jahre alt geworden und hat Auschwitz überlebt. Ich kann mir Auschwitz nicht vorstellen, und ich kann mir noch weniger vorstellen, wieviel Lebenswillen, Kraft und Glück es braucht, Auschwitz zu überleben. Reineck war Zeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozess und gründete mit anderen Häftlingen 1979 die „Lagergemeinschaft Auschwitz“. Das Desinteresse, das unserer Erinnerungskultur Hohn spricht, hätte diesen Mann sicher tief getroffen, dessen Maxime es doch war, dass „über Auschwitz kein Gras wachsen darf“. Die Worte der Schriftstellerin hallten gewissermaßen nach in den Tönen von Gregor Praml auf dem Kontrabass.

Vergangenheit vergeht nicht. Das scheint zum Schicksal der Engländer zu werden; in 2 Monaten ist der B-Day schon Geschichte. Weltmacht einst, Inselmentalität immer, Snobismus und verantwortungslose Scharfmacher wie Boris Johnson, der übrigens in Brüssel aufwuchs, verbinden sich auf fatale Weise. Nichts mehr da vom britischen Pragmatismus & Understatement. Keine Ideen und Lösungen nirgends. Eigentlich sollten alle unverantwortlichen Politiker sofort zurücktreten; Theresa May zuerst. Neue Köpfe sind auch neue Chancen. Welcome to reality.

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