
Bad Nauheim liegt nördlich von Frankfurt und ist knapp 50 km entfernt. Anfang des Jahres veranstaltet der örtliche Energie-Anbieter dort im Dolce-Theater ein Neujahrsvarieté, das zu einer unendlichen Erfolgsgeschichte geworden ist. 49 Vorstellungen gab es heuer, alle waren ausverkauft. Wieder hatte „Direktor“ Andreas Matlé, der eigentlich die Marketing-Kommunikation bei OVAG leitet, ein gutes Händchen und stellte eine Show mit 21 Programm-Punkten zusammen; kurz vor Mitternacht erst röhren vier brasilianische Teufelskerle mit ihren Maschinen in einer Metallkugel. Noch mehr beeindrucken mich „Strahlemann & Söhne“ aus Berlin. Die Jungs tauschen locker ihre Anzüge und werfen sich dabei ihre Jonglierkeulen zu – fabelhaft. Es sieht alles so einfach aus, was diese Artisten von Weltklasse da in Bad Nauheim auf die Bühne zaubern. Natürlich auch bei der ganz besonderen letzten Vorstellung, der Dernière. Chapeau!
Tags drauf tauche ich in die Welt der Wasserglas-Lesungen ein: Wolf Wondratschek liest aus seinem Roman „Selbstbild mit russischem Klavier“. Er empfindet sich immer noch als underground und verachtet die Feuilletonisten nicht weniger als die Klappentextschreiber in den Verlagen. Dennoch berichtet er nicht ohne Stolz & Freude, dass nun ein Halbmexikaner als Agent für ihn die Fäden ziehe; erstmals erscheine er in Frankreich und in einem New Yorker Verlag. Zufällig nehmen an meinem Tisch der Anglist und Schriftsteller Klaus Reichert und seine Frau Platz; beide kennen Wondratschek seit 1966. Immer wieder beruft er sich auf Klaus, denn mitnichten geht es an diesem Abend nur um den Roman über einen russischen Pianisten. Mehr noch: seine Assoziationen sind mindestens genauso spannend, wenn er über Kreativität und Wahrheit nachsinnt. Ganz besonders gefällt mir eine von Klaus verbürgte Anekdote über Adorno: seine Interpretation vom „Endspiel“ kanzelte dessen Autor Samuel Beckett kurz und knapp mit „No“ ab. Von wegen Hamlet und Clown, was den eitlen Professor indes nicht zu irritieren schien.
Eine ganz andere Welt tut sich im tristen Februar immer in Berlin auf. Die ganze Stadt scheint sich nur noch für das Kino zu interessieren, das im letzten Jahr in Deutschland spürbare Rückgänge bei den Umsatz- und Besucherzahlen hinnehmen musste – Final Countdown. Von Katzenjammer ist bei der Berlinale nichts zu spüren, auch wenn der Wettbewerb um den Goldenen Bären seit Jahren ein Problem ist. Die besseren Filme laufen in Cannes und Venedig, und die Oscar-Kandidaten spielen sowieso in einer anderen Liga, etwa „The Favourite. Intrigen und Irrsinn“ von Giorgos Lanthimos. Kostümfilme mag ich eigentlich gar nicht, aber dieses Machtspiel um die Gunst der Königin Anne mit allen Mitteln fasziniert in jedem Moment; alle drei Hauptdarstellerinnen verdienen einen Oscar. Im Großbritannien des frühen 18. Jahrhunderts geht es bei den Ränkespielen so wenig um das Wohl der Nation wie den verbohrten Sturköpfen, die heute das große Wort führen auf der Insel. In 49 Tagen ist B-Day; „Brexit Boxen“ mit gefriergetrockneten Lebensmitteln verkaufen sich gut. Stop it immediately!
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