
Uraufführungen sind immer besonders spannend und in Opernhäusern selten. Die Intendanten setzen auf bewährte Schlachtrösser von Verdi, Mozart und Wagner; damit entspricht man den Wünschen & Erwartungen des Publikums. Gleichwohl ist die Deutsche Oper in Berlin bestens besetzt, als zum ersten Mal „Heart Chamber“ von Chaya Czernowin aufgeführt wird. Zwei Werke der israelischen Komponistin wurden von der Fachzeitschrift „Opernwelt“ bereits zur „Uraufführung des Jahres“ gewählt. „Heart Chamber“ dürfte diese Ehrung wohl kaum zuteilwerden; die „Erforschung der Liebe“ im 21. Jahrhundert kommt über Tableaus der Fremdheit und Entfremdung nicht hinaus. Zwischen Mann und Frau geht gar nichts von Anfang bis zum Ende der 90 teils sehr langen Minuten. Musikalisch passiert hingegen um so mehr: Czernowin lotet mit dem fabelhaften Orchester des Hauses und grandiosen Stimmen (Patrizia Ciofi/Sopran und Dietrich Henschel/Bariton) neue Klänge & Räume aus. Bisweilen scheint ein Wispern und Summen durch das weite Rund des Hauses zu gehen. Allein, sie wäre gut beraten, sich ganz auf diese Qualitäten zu verlassen und nicht auch noch das Libretto zu verfassen.
Dass es nicht vieler Worte bedarf, um eine Geschichte zu erzählen, beweist der Regisseur Jan-Ole Gerster mit seinem Film „Lara“. Nach seinem sensationellen Debüt „Oh Boy“ (2012) hat er sich zum Glück Zeit gelassen – und nicht schnell etwa „Oh Girl“ nachgeschoben. An ihrem 60. Geburtstag kommt Lara (beeindruckend gespielt von Corinna Harfouch) zu einer ernüchternden Bilanz ihres Lebens: mehr wäre als Pianistin möglich gewesen, stattdessen fristete sie ihr Dasein in irgendeinem Verwaltungsjob bei der Stadt Berlin. Um so mehr widmete sie sich der Förderung & Karriere ihres Sohnes (Tom Schilling) und kann doch seine Erfolge nicht anerkennen; vor der Uraufführung kanzelt sie eine Komposition von ihm als „musikantisch“ ab. Eine Vernichtung! Aber Lara steht vor den Trümmern ihres eigenen Lebens: isoliert, desillusioniert, aber nicht deprimiert. Sie spielt wieder Klavier…
Auf meinen Fahrten nach Frankfurt arbeite ich mich immer durch die letzten Ausgaben des Berliner Tagesspiegels – und stieß dabei auf eine sehr positive Rezension der Biographie „Die Weizsäckers. Eine deutsche Familie“ von Hanns-Joachim Noack (Siedler Verlag). „Kaum eine deutsche Familie“, schreibt Christine Brinck, „ist ohne Schuld durch die Geschichte gegangen, aber neu zu denken und Einsichten zu produzieren, die sich historisch niederschlagen, ist nicht jeder Familie gegeben. Die Weizsäckers haben das bis heute erstaunlich konstant und kontinuierlich geschafft.“ (11.11.19) Abends erschüttert mich die Nachricht, der Mediziner Fritz von Weizsäcker wurde nach einem Vortrag in der Schlosspark-Klinik erstochen. Der offenbar psychisch gestörte Mörder wollte eigentlich seinen Vater Richard von Weizsäcker († 31.01.2015) richten, weil der in den 60er Jahren in der Geschäftsführung von Boehringer in Ingelheim auch dafür verantwortlich gewesen sei, dass Produkte zur Herstellung des hochgiftigen Entlaubungsmittels „Agent Orange“ für den Vietnamkrieg an Dow Chemical nach Amerika geliefert wurden. Mir fehlen die Worte.
Danke für die Hintergrundinformation zu dem Messermord … darüber wird in der Presse nicht berichtet, hatte mir schon gedacht das da was anderses hintersteckt als nur der Wahnsinn eines Einzelnen.
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