
Nach der ereignisreichen Anreise gönnen wir uns erst mal einen Tag Ruhe in Chachapoyas. Wir befinden uns auf 2.335 Metern und sind endlich in den Anden angekommen! Das Programm der kommenden Tage sieht Wanderungen zu den Ruinen von Kuelap und dem Wasserfall Gocta vor, aber wir starten mit einer Erkundung der Stadt.
Chacha, wie es von den Locals meist nur genannt wird, ist eine schöne, ruhige Stadt mit vielen weiß getünchten Gebäuden aus der Kolonialzeit. Als sogenannte „Weiße Stadt“ herrscht hier auch ein Verbot von Mototaxis, und es ist daher gleich wesentlich ruhiger als im quirligen Máncora. Wir lassen uns treiben und landen irgendwann im örtlichen Marktgebäude – eine Attraktion für sich. Die Märkte in Südamerika sind immer einen Besuch wert; es gibt meist eine Vielzahl von kleinen Ständen und es herrscht ein lebhaftes Treiben. Neben Fleisch (ohne Kühlung), Backwaren und einem Haufen Krims Krams gibt es unzählige Sorten von Obst und Gemüse, deren Namen wir zu großen Teilen nicht einmal kennen. Wir decken uns ein und machen uns auf den Weg zurück ins Hostel. Auf dem Weg hinaus passieren wir noch eine Frau im tradionellen Gewand, die ein Netz voll lebender Cuy (Riesenmeerschweinchen) zum Verkauf anbietet – eine Delikatesse der Anden.
Der Besitzers unseres Hostels empfiehlt uns bei der Rückkehr noch einen Abstecher zum nahegelegenen Aussichtspunkt Huancas zu machen und den dortigen Canyon zu bestaunen. Wir nehmen den Rat dankend an und nutzen den Besuch als Einstimmung auf die kommenden Tage. Zum Abendessen gibt es danach Mango, Avocado, Käse und Brot vom Markt; der Geschmack der Früchte übersteigt den der deutschen Supermarkt-Früchte um ein Vielfaches.
Am nächsten Morgen geht es um 8.00 Uhr los zum ersten Ausflug mit Ziel Kuelap, der einstigen Heimat der Chachapoya. Der Name dieses prähistorischen Andenvolkes stammt aus dem Quechua und bedeutet Wolkenmenschen oder Nebelkrieger. Wir haben eine Tour über unser Hostel gebucht und müssen zunächst einige Stunden Bus fahren, bevor es mit der einzigen Seilbahn Perus hinauf zu den Ruinen geht. Es ist eine spannende Führung und es sind beeindruckende Bauwerke, deren Bau hoch oben auf fast 3.000 Metern schon etwa im 6. Jahrhundert begonnen wurde. Ich möchte nicht zu viel über die Kultur und die Ruinen erzählen, empfehle den Interessierten jedoch eine Kurzrecherche im Netz. Wir sind zufrieden mit diesem ersten Tag und erlauben uns Cuy zum Abendessen. Leider geraten wir jedoch in ein gehobenes Restaurant für Touristen und so wird der Cuy nicht am Stück, sondern bereits zerteilt in einer Schatztruhe serviert – zu viel Show für meinen Geschmack.
Der nächste Tag wartet mit der etwas anspruchsvolleren Wanderung zum Wasserfall Gocta auf, der sich 771 Meter in die Tiefe der Sierra, der Vorstufe zum Regenwald, stürzt. Wir müssen eine einfache Strecke von 5,5 km dorthin bewältigen und kämpfen gegen das wechselhafte Klima und die Steigungen. Sonne und Regen wechseln sich derart schnell ab, dass wir bald sowohl vom Schweiß als auch vom Wasser durchnässt sind, doch jeder Meter näher zu Gocta gibt uns neue Kraft. Unser Guide hat uns wegen der Kälte zwar vor einem Bad gewarnt, aber wem muss ich noch sagen, dass wir uns gleich nach der Ankunft am Fuß auf in Richtung Becken machen. Phil, den wir schon auf dem Weg kennengelernt haben, ist bereits im kühlen Nass. Davon angespornt ziehen wir blank und gönnen uns ebenfalls ein kurzes Bad von maximal 3 Minuten im eisigen Wasser – eine Wahnsinnserfahrung! Den Weg zurück laufen wir mit Phil im Trio und tauschen uns aus während der Wasserfall durch den Regen minütlich weiter anschwillt; auch Phil hat seinen Job aufgegeben und möchte das „rat race“ der Finanzbranche in Kalifornien gegen einen Job im Abenteuertourismus tauschen. Ich verstehe ihn gut.
Am Vortag haben wir unsere Pläne bereits geändert und fahren doch nicht an die Küste, sondern nach Huaraz: der Bus geht noch am selben Abend. Wir sind zwar erschöpft von der ersten 11 km Wanderung im Gebirge, doch die Anden versprechen einfach mehr Abenteuer als der Strand. Wir nehmen wieder den Nachtbus, und wieder schlafen wir hervorragend. Nach einem kurzen Buswechsel in Trujillo am Morgen erreichen wir Huaraz auf 3.100 Metern am frühen Abend planmäßig.
Wir gönnen uns wieder einen Tag Pause und erkunden die Stadt – hier herrscht leider kein Verbot für Mototaxis und das Hupen als Verständigung ist wieder allgegenwärtig. Die Stadt ist zudem voll, denn es ist Gründonnerstag und die Vorbereitungen für die üppigen Osterprozessionen der kommenden Tage laufen bereits auf Hochtouren. Nach dem Abendessen dann der Schreck: wir geraten in ein ausgewachsenes Gewitter und es regnet ohne Unterlass. Wir müssen uns beratschlagen, wollen wir doch am nächten Tag zur Laguna 69 wandern. Der Wetterbericht sagt auf allen Kanälen ausschließlich Gewitter voraus, doch die erfahrenen Mitarbeiter im Hostel sagen uns, dass man sich hier im Gebirge nie darauf verlassen kann, und am Morgen sei es eigentlich immer erst mal schön. Wir wissen nicht weiter und beschließen die Münze entscheiden zu lassen: Kopf, wir buchen die Tour! Beim Buchen an der Rezeption treffen wir noch Nadine, eine Reisende aus Hamburg, die sich ebenfalls für die Tour einschreibt. Wir kennen uns bereits vom Frühstück und verabschieden uns bis zum Morgen – abgeholt werden wir um 4.00 Uhr.
Irgendwo zwischen den kleinen Dörfern auf dem Weg kommen wir ins Stoppen: Eine erste Karfreitags-Prozession inklusive Feuerwerk hält uns um kurz vor 6.00 Uhr von der Weiterfahrt ab. Zwar sind wir irgendwie amüsiert darüber, zeigen uns aber unbeeindruckt, da Schlaf gerade noch Priorität genießt. Ein kurzer Stop zum Frühstück und wir starten den steilen Weg ins Gebirge auf 3.900 Metern: Das Wetter ist stabil – die Münze hatte Recht.
Die Landschaft ist atemberaubend schön und wir laufen zunächst zu dritt. Zwar sind wir einigermaßen aklimatisiert, doch mit jedem Meter steigt die Anstrengung weiter. Bald laufen wir nur noch zu zweit und Bobby muss immer wieder auf mich warten – Nadine ist uns bereits einige Meter voraus. Hatte ich mich im Vorfeld noch gefragt, ob Bobby es mir seiner Lunge (mehrere Mantelpneumothoraxe in den Vorjahren) problemlos schafft und ich ihn zur Not tragen könnte, frage ich mich jetzt, ob es ihm möglich wäre, mich im Notfall den Berg hinunter zu wuchten. Aber Spaß beiseite, es ist zwar eine gewaltige Anstrengung, doch wir wissen halbwegs, was wir machen und waren beide schon auf ähnlichen Höhen unterwegs. Nach 3 anstrengenden Stunden erscheint vor uns dann endlich in einem türkis-blau nicht von dieser Welt die Laguna 69 auf 4.600 Metern Höhe. Wir sind überwältigt von der Schönheit und genießen ehrfürchtig unseren mitgebrachten Proviant. Leider kommen wir nicht umhin zu bemerken, dass der Gletscher auf den Werbefotos in der Stadt noch bis in den See ragte und sich mittlerweile ein gutes Stück weiter den Berg hinauf zieht. Es sind auch hier die Spuren des Klimawandels am Werk und man fragt sich doch, ob man solche Fernreisen neben vielen andern Dingen überhaupt noch guten Gewissens machen kann. Der Abstieg erfolgt um einiges schneller und zurück in Huaraz gehen wir – wieder zu dritt – noch ein Bier trinken. Ich habe leichte Kopfschmerzen vom Tag, der Höhe und der Anstrengung, doch eine Nacht voll Schlaf soll sie wieder beseitigen.
Den letzten Tag in der Stadt genießen wir zwischen den Touristen und Pilgern und schauen uns die teils eigenwilligen – aber für Südamerika typischen – Oster-Prozessionen an. Nadine hat sich uns angeschlossen, und wir probieren uns durch die kleinen Wagen mit Essen am Straßenrand. Ein Highlight: Spanferkel. Für einen Saft geht es nochmal in den örtlichen Markt und beim Verlassen sehen wir einen Stapel ganzer Schweine zum Teil auf dem Boden und auf Sackkarren einfach abgeladen in einem Gang. Wir denken trotz des fürchterlichen Geruchs nicht weiter darüber nach und lassen den Tag bei einigen Bieren ausklingen. Zum Abschluss spielen wir noch die für mich lustigste Runde Uno seit langem im Hostel und tragen dabei am Ende alberne Masken, die wir im Aufenthaltsraum gefunden haben. Noch einen Selfie zusammen und wir müssen uns verabschieden. Wir nehmen wieder den Nachtbus nach Lima, von wo aus wir das erste große Highlight der Tour ansteuern: 5 Tage in einer Eco-Lodge im Amazonasbecken…
Peng